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Aus der ZeitschriftPflegerecht 2/2016 | S. 126–127Es folgt Seite №126

Interview mit René Schwendimann

Wo und wie sind Sie aufgewachsen?

Ich bin in Zürich geboren und aufgewachsen. In Wipkingen und im Industriequartier, wo meine Eltern eine Lederwarenfabrikation betrieben.

Wenn Sie an Ihre Jugendzeit denken, was kommt Ihnen in den Sinn?

Da kommt mir vor allem die Schul- und Ferienzeit in den Sinn. Während der Primarschule und Oberstufe führten meine Wege viele Jahre zwischen dem Zuhause in Wipkingen und dem elterlichen Atelier hin und her. Dort musste ich jeweils – nach den Schulaufgaben – auch aushelfen, bevor ich nach draussen zum Spielen konnte. Wir besuchten auch regelmässig meine Grossmutter im Zürcher Oberland, wo ich in all den Jahren viel Ferienzeit verbrachte, ebenso im Bündnerland, wohin wir jedes Jahr in die Ski- und Wanderferien reisten. Alles in allem erscheint mir meine Jugend als eine gute Zeit. Mit zwölf begann ich viel und gerne zu lesen, war einige Jahre bei den Pfadfindern, bin in den Sommern viel geschwommen und im Winter Schlittschuhlaufen gegangen und war meistens guten Mutes.

Was hat für Ihre Berufswahl den Ausschlag gegeben?

Als ich 16-jährig ein Jahr Berufswahlschule absolvierte und dabei verschiedenste Ausbildungsmöglichkeiten kennenlernte, hatte ich trotzdem keine klare Vorstellung, welchen Beruf ich wählen wollte. Der Beruf meines Vaters, Portefeuiller war keine Option für mich. Es blieben zwei vage Ideen, Schreibmaschinenmechaniker und Buchhändler. Dann, 1975, erfuhr ich von einem guten Kollegen, dass er ein Pflegepraktikum in der damaligen Anstalt für Epileptische absolvierte. Ich erinnere mich noch gut, wie er mir begeisternd davon erzählte und sagte: «Du, das ist ganz lässig, dort zu arbeiten.» Das hat den Ausschlag für meine Berufswahl als Psychiatriepfleger gegeben. 1976 begann ich mit der Ausbildung, und 20 Jahre später, nach erfolgreicher Berufstätigkeit in verschiedenen Funktionen, studierte ich noch Pflegewissenschaft in Maastricht und Aarau und promovierte 2006 an der Universität Basel als erster «Pflegedoktor» einer Schweizer Universität.

Welche besonderen beruflichen Stärken zeichnen Sie aus?

Ausdauer, Besonnenheit und Geduld, Interesse am Gegenüber, Beobachtungsgabe und Situationsgespür. Dazu etwas an analytischen Fähigkeiten, ein gewisses Verständnis für Zusammenhänge, und ich bin offen für gute Argumente.

An welchem wichtigen Projekt/Auftrag arbeiten Sie zurzeit?

Seit Februar 2016 leite ich die neue Fachstelle Patientensicherheit im Universitätsspital Basel (USB). Mein Hauptauftrag gemäss Stellenprofil heisst: Aufbau einer patientenzentrierten Kultur der ständigen Verbesserung von Patientensicherheit und Qualität, wobei das Engagement der Ärzteschaft, die interprofessionelle Zusammenarbeit und die Identifikation sowie Nutzung von evidenzbasierten Standards zu fördern sind. Konkret habe ich damit begonnen – nebst dem Einarbeiten in bestehende Programme und Projekte zur Patientensicherheit wie z.B. CIRS, Medikationssicherheit oder Personalschulungen – die mehr als 50 Abteilungen des USB persönlich zu besuchen. Bei diesen Abteilungsbesuchen geht es im Wesentlichen darum, mit den Mitarbeitern vor Ort zum Thema Patientensicherheit ins Gespräch zu kommen und so die vielen lokalen «Sicherheitskulturen» kennenzulernen. Bei den Versorgungsprozessen, der Behandlungsqualität und Patientensicherheit spielt die Musik auf den Abteilungen. Sei es im Operationsbereich, der medizinischen Bettenstation, den Labors, in der Notfallaufnahme oder den Ambulatorien. Überall dort, wo die Patienten tagtäglich von interprofessionellen Teams untersucht, behandelt und betreut werden, entsteht Qualität und muss Patientensicherheit gewährleistet werden.

Mit Blick auf den gestrigen Tag, welche drei guten Dinge haben Sie erlebt?

Zum Ersten hatte ich eine lehrreiche Begegnung mit einem Mitarbeiter des USB, bei der wir uns über das Vorgehen bezüglich Zwischenfallbesprechung verständigten. Zum Zweiten vervollständigte ich ein Aus der ZeitschriftPflegerecht 2/2016 | S. 126–127 Es folgt Seite № 127Seminar, das ich demnächst mit Masterstudenten der Pflegewissenschaft durchführe, mit einer neuen interaktiven Sequenz «Wie agiere ich als Fachperson, wenn sich eine andere Fachperson vor der Untersuchung eines Patienten die Hände nicht desinfiziert…?» Und, zum Dritten haben meine Frau und ich das Abendessen wieder einmal zusammen vorbereitet und danach genossen.

Zur Entwicklung des Schweizer Gesundheitswesens wird viel diskutiert.

Tatsächlich, die Informationsquellen, Diskussionsherde und Debatten sind kaum noch überschaubar. Ein unglaublicher Mix aus Meinungen, Fakten und Prognosen, der auf internationaler, nationaler und kantonaler Ebene gerührt wird und als Cocktail aus Gesundheits-, Finanz-, Bildungs-, Forschungs- und Parteipolitik den Gemeinden und Betrieben serviert wird.

Was schlagen Sie vor?

Mit gefällt die gesundheitspolitische Agenda 2020 des Bundesrats. Sie umfasst meiner Meinung nach die wichtigsten Themenbereiche und enthält programmatische Schwerpunkte für die notwendigen Entwicklungen, um die Gesundheitsversorgung der Bevölkerung zu gewährleisten. Mein Vorschlag: sich daran halten und nicht ständig Nebenschauplätze befeuern.

Wie halten Sie es mit der Politik?

Ich bin ein aktiver Stimmbürger und keiner politischen Partei angehörig. Berufspolitisch habe ich mich beispielsweise in der Ausarbeitung des Vorschlags für das Gesundheitsberufegesetz engagiert. Hierbei hat der Ständerat Anfang März allerdings dagegen entschieden, die Masterstufe in Pflege in das neue Gesetz zu integrieren. Unter anderem wegen der sogenannten «Verakademisierung der Pflege» (sic!). Allerdings ist das letzte Wort noch nicht gesprochen, zumal sich die Vorzüge der akademisch fundierten Pflege abzeichnen. Zum Beispiel durch «Advanced Nursing Practice», die im Rahmen neuer bedarfsorientierter Modelle in der Gesundheitsversorgung wichtiger wird.

Auf was könnten Sie in der gesundheitspolitischen Debatte verzichten?

Abgehobene, d.h. von der Alltagsrealität der Leistungserbringer in Praxen, Spital-, Heim- und anderen Betrieben losgelöste Diskussionen in den Parlamenten.

Zum Schluss noch eine Antwort auf die Frage, die Ihnen nicht gestellt wurde.

Gib, was du forderst, dann fordere, was du willst.