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Aus der ZeitschriftPflegerecht 3/2017 | p. 190–192Es folgt Seite №190

Interview mit …

Herr Heiniger, seit etwas mehr als einem Jahr sind Sie Präsident der GDK. Beschäftigen Sie in dieser Funktion die Entwicklungen rund um die Pflege regelmässig?

Ja, das ist eine Daueraufgabe. Die Kantone sind für die Versorgung der pflegebedürftigen Menschen verantwortlich. Durch die Alterung der Bevölkerung wächst die Zahl der Menschen, die auf Pflege angewiesen sind. Darum braucht es künftig mehr und auch flexiblere Pflegeangebote. Dafür haben GDK und BAG das gemeinsame Projekt «Verbesserung der koordinierten Versorgung» lanciert. Darüber hinaus braucht es aber auch genügend Gesundheitspersonal, damit die wachsende Zahl pflegebedürftiger Menschen künftig die notwendige Pflege erhält. GDK und OdASanté haben mit dem Nationalen Versorgungsbericht für die Gesundheitsberufe 20161 die Entwicklung der Personalbestände aufgezeigt und Massnahmen formuliert, die auch in Zukunft genügend Gesundheitspersonal sicherstellen sollen. Die GDK wird das Thema der Personalerhaltung national in den Fokus rücken und weiterbearbeiten. Zusammen mit CURAVIVA engagiert sich die GDK zudem einerseits in einem Projekt zur Zeitmessung der Pflegeleistungen in Palliative-Care-End-of-Life-Situationen, anderseits in einem Projekt zur Entwicklung von Qualitätsindikatoren für Pflegeheime. Ausserdem arbeitet die GDK in der nationalen Plattform Palliative Care mit. Sie sehen, im Bereich der Pflege ist die GDK gezielt und vielfältig engagiert.

Gerade die Betreuung und Pflege von Demenzbetroffenen wird – aufgrund der demografischen Entwicklung – in Zukunft stark an Bedeutung gewinnen. Ende 2013 haben daher der Bund und die Kantone die «Nationale Demenzstrategie 2014–2017» beschlossen. Sie bezweckt, die Behandlung, Betreuung und Pflege der an Demenz erkrankten Menschen zu optimieren und die Lebensqualität der von Demenz Betroffenen zu verbessern. Die Träger der Strategie haben Ende 2016 entschieden, die Nationale Demenzstrategie um zwei Jahren – bis 2019 – zu verlängern. War dieser Entscheid aus Ihrer Sicht richtig?

Ja. Die kürzlich vorgenommene Standortbestimmung hat aufgezeigt, dass die Zielsetzungen der Nationalen Demenzstrategie die richtigen sind. Gleichzeitig wurde aber auch klar, dass viele der Projekte im Rahmen der «Nationalen Demenzstrategie 2014–2017» bis Ende 2017 nicht abgeschlossen werden können, ja manche sogar noch nicht einmal gestartet werden konnten. Die Verlängerung der Strategie ermöglicht, in allen Projekten konkrete Resultate zu erreichen.

Aus Sicht der Kantone ist die Verlängerung zudem aus einem weiteren Grund wichtig: Die nationale Strategie bildet Grundlage und Legitimation für kantonale Aktivitäten in diesem Bereich, von denen gegenwärtig noch verschiedene in vollem Gange sind. Diese Aktivitäten sind nun bis 2019 in einen nationalen Rahmen eingebettet.

Der Entscheid, die Nationale Demenzstrategie zu verlängern, bietet damit auch Ihnen – als Gesundheitsdirektor des Kantons Zürich – die Möglichkeit, weitere Aktivitäten im Bereich Demenz anzustossen. Was packen Sie im Kanton Zürich bis 2019 an?

Die Gesundheitsdirektion des Kantons Zürich organisiert jährlich das Zürcher Demenzforum, dieses Jahr bereits zum vierten Mal. Eingeladen sind jeweils kantonale Stakeholder aus den Bereichen Politik und Behörden, Betroffene und Angehörige, Leistungserbringer und Bildung. Vor vier Jahren standen das gemeinsame Umsetzungsverständnis der nationalen Strategie und die Analyse der Gesundheitsversorgungssituation im Kanton Zürich im Zentrum. Dort, wo wichtige Angebotslücken erkannt worden sind, wurden Projekte gestartet. Ein Beispiel ist AIDA-Care. In diesem Projekt geht es um eine aufsuchende Abklärung und Beratung für sehr schwer zugängliche Menschen mit Demenz, die zu Hause leben, aber keine Hilfe annehmen wollen oder können. Im Kanton Zürich werden wir einerseits diese laufenden Arbeiten weiterführen, anderseits wollen wir zukünftig Aus der ZeitschriftPflegerecht 3/2017 | p. 190–192 Es folgt Seite № 191aber auch die Koordination von demenzrelevanten Themen verbessern. Dazu planen wir die Gründung einer unabhängigen Organisation. Sie soll die verschiedenen Stakeholder im Bereich Demenz besser koordinieren und unterstützen und so letztlich dazu beitragen, dass die Lebensqualität der Menschen mit Demenz sowie jene ihrer Angehörigen gesteigert werden kann (beispielsweise mittels neuer Betreuungskonzepte, der Verbesserung der Orientierung im öffentlichen Raum oder der erhöhten Sicherheit im Strassenverkehr). Informelle und formelle Gespräche haben gezeigt, dass die Idee auf grosses Interesse stösst. Die Gesundheitsdirektion hat darum ein konkretes Gründungsprojekt gestartet.

Die Nationale Demenzstrategie endet zwar im Jahr 2019, das Thema Demenz wird unsere Gesellschaft aber weiterbeschäftigen. «Demenz» ist dabei nicht nur ein Gesundheits-, sondern immer mehr auch ein Gesellschaftsthema. Die Anzahl der Menschen mit Demenz wird zunehmen. Ich bin der Meinung, dass die Gesellschaft darauf vorbereitet werden muss, denn Demenz tangiert uns irgendwann alle auf die eine oder andere Weise.

Wie stark divergieren nach Ihrer Erfahrung die von den Kantonen implementierten Konzepte zur Spitex-Pflege?

Die Kantone haben in den letzten Jahren die ambulante Pflege unterschiedlich stark ausgebaut. Das OBSAN unterscheidet drei kantonale Modelle der Langzeitpflege.2 In der lateinischen Schweiz ist die Versorgung durch Spitex-Organisationen stark ausgebaut, die pflegebedürftigen Menschen werden in erster Linie zu Hause gepflegt. In der Zentralschweiz bilden dagegen die Alters- und Pflegeheime den Grundpfeiler der Betreuung pflegebedürftiger Menschen. Das dritte Modell ist schliesslich eine Mischform, bei welcher die Inanspruchnahme von Alters- und Pflegeheimen sowie Spitex gleichmässiger verteilt ist.

Einen weiteren markanten Unterschied zwischen den Kantonen gibt es in Bezug auf die Zuständigkeit für die Spitex-Pflege: Während diese in der lateinischen Schweiz bei den Kantonen liegt, sind in der Deutschschweiz vermehrt die Gemeinden dafür zuständig. Mit Zusammenschlüssen von Spitex-Organisationen tut man sich in der «gemeinde-orientierten» Form tendenziell schwerer, weshalb die Spitex-Versorgung in der Deutschschweiz viel fragmentierter ist und es viele kleinere Organisationen gibt.

Sehen Sie einen Handlungsbedarf des Bundes, den Kantonen in diesem Bereich klarere Vorgaben zu machen? Oder erachten Sie die kantonalen Unterschiede eher als Chance für die Entwicklung innovativer Modelle?

Nachdem während Jahren der Grundsatz «ambulant vor stationär» die Diskussionen um die Sicherstellung eines bedarfsgerechten Angebots für pflegebedürftige Menschen geprägt hat, wird dies jetzt etwas relativiert. Es braucht in der Langzeitpflege «ambulant und stationär» und zunehmend auch «ambulant mit stationär». Das Angebot an Spitex-Pflege ist durch Tages- und Nachtstätten zu ergänzen, betreute Wohnangebote sind auszubauen, Kurzaufenthalte in Pflegeheimen sollen möglich sein. Pflegeheime sollen nicht mehr als letzte Station eines Menschen verstanden werden. Sie sind stattdessen in eine Behandlungskette einzubeziehen. Die Förderung und Sicherstellung dieser Angebote ist eine öffentliche Aufgabe. Und ja, es ist ein grosser Vorteil unserer föderalen Struktur, dass die Kantone im Kleinen neue Modelle ausprobieren und voneinander lernen können. Wichtig ist, dass auch der Bund seinen Aufgaben nachkommt. So liegt es in seiner Kompetenz, die Pflegeleistungen nach KLV und die Tarifstruktur zu definieren. Auch zur Qualitätssicherung sollen die Grundsätze auf nationaler Ebene festgelegt werden. Dass das nationale Parlament endlich die Frage klärt, welcher Kanton die sogenannte «ausserkantonale Pflege» restfinanzieren muss, begrüsse ich ebenfalls.

Sehen Sie einen Weg, wie die Kantone die steigenden Kosten für die Pflege in Heimen, die zu einem substanziellen Teil über die Ergänzungsleistungen finanziert werden, langfristig im Griff behalten können?

Es gilt, die gesamte Finanzierung und die Gesamtkosten zu betrachten. Eine Zahler-Sicht, die sich nur auf einen Finanzierer bezieht, ist wenig sinnvoll. Die OKP bezahlt von der Pflegestufe abhängige Beiträge an die Pflege nach KLV. Diese Beiträge sind seit Einführung der Neuen Pflegefinanzierung 2011 gleich hoch geblieben. Ich erhoffe mir von der Evaluation, die zurzeit im Auftrag des BAG durchgeführt wird, Grundlagen für eine Anpassung der Beiträge an die Kostenentwicklung. Die öffentliche Hand finanziert die Pflegeleistungen nach KLV mittels der sogenannten Restfinanzierung mit. Die Bewohnerin, der Bewohner muss für die Hotellerie und die Betreuung aufkommen sowie einen Eigenbeitrag an die Pflege nach OKP bezahlen. Bei Menschen mit wenig Eigenmitteln finanzieren die Kantone diese Kosten über die Ergänzungsleistungen. Die finanzielle Belastung durch die stationäre Langzeitpflege ist hoch und steigt wegen der demografischen Entwicklung weiter.

Aus der ZeitschriftPflegerecht 3/2017 | p. 190–192 Es folgt Seite № 192Ich finde es wichtig, dass die öffentliche Hand die Pflegeheime für die Pflege nach KLV fair restfinanziert. Die Finanzierung soll aber auch Anreize setzen, um Prozesse zu optimieren und beim Personal einen idealen «Skill-Grade-Mix» anzustreben. Sie darf indessen nicht dazu führen, dass Kosten der Pflege auf Hotellerie- und Betreuungstaxen geschlagen werden. Potenzial sehe ich zudem in der Förderung von Strukturen des betreuten Wohnens. Sie tragen dazu bei, dass Menschen später oder gar nicht in ein Pflegeheim eintreten müssen, und haben auch gegenüber der Spitex-Pflege im angestammten Zuhause klare Kostenvorteile.

Die steigenden Pflegekosten werden die öffentlichen und privaten Haushalte zunehmend belasten. Liegt eine mögliche Antwort auf diese Herausforderungen in einer nationalen Pflegeversicherung?

In der Diskussion um eine nationale Pflegeversicherung gilt es meiner Meinung nach, zuerst zwei grundlegende Fragen zu diskutieren und zu klären: Welche Verschiebungen der Solidaritäten strebt man an? Und welche Leistungen sollte eine Pflegeversicherung abdecken, beziehungsweise welche Risiken sollen solidarisch getragen werden (nur Pflege, Pflege und Betreuung oder gar Pflege, Betreuung und Hotellerie)? Wenn die Antwort auf die zweite Frage bekannt ist, weiss man, in welcher Höhe finanzielle Mittel generiert werden müssten.

Für die GDK stehen indessen Massnahmen im Vordergrund, welche rascher zu realisieren sind als eine Pflegeversicherung. Wir begrüssen es, wenn im Bundesgesetz über die berufliche Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenvorsorge (BVG) der Vorbezug von angesparten Rentengeldern eingeschränkt wird. Und in der EL-Revision, welche zurzeit im Parlament beraten wird, unterstützen wir den Vorschlag zur Senkung der Freibeträge auf dem Gesamtvermögen und schlagen vor, die selbst bewohnten Liegenschaften bei der Senkung der Vermögensfreibeträge nicht auszunehmen. Die mit der Neuen Pflegefinanzierung 2011 eingeführten Vermögensbeträge haben zu einer Erhöhung der Zahl der EL-Anspruchsberechtigten sowie einem Vermögensschutz zugunsten der Erben und zulasten der Steuerzahler geführt.

Das Interview führte Prof. Dr. Thomas Gächter im Namen der Redaktion der Zeitschrift «Pflegerecht»

  1. 1 http://www.gdk-cds.ch/index.php?id=1143&L=dyluutqtiytd
  2. 2 http://www.obsan.admin.ch/de/publikationen/langzeitpflege-den-kantonen.