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Aus der ZeitschriftPflegerecht 4/2018 | p. 275–276Es folgt Seite №275

Interview mit …

Was hat für Ihre Berufswahl den Ausschlag gegeben?

Meine Berufswahl wurde durch den Gedanken geprägt, dass das Recht so etwas ist, wie die Möglichkeit, in verschiedenen Bereichen dann einen Einblick zu bekommen, wenn diese am spannendsten oder sonst «aufgeladen» sind. Dieser Gedanke hat sich für mich bei der Beschäftigung mit Strafrecht, Medizinrecht und Pflegerecht am meisten erhärtet. Die Möglichkeit, den Versuch zu unternehmen, in diesen Bereichen die Diskussion zu gestalten und hierzu ihre Funktionsweise und Abläufe zu untersuchen (und hoffentlich zu verstehen), hat dann wohl ihr Übriges dazu beigetragen.

Was sind die Schwerpunkte Ihrer aktuellen beruflichen Tätigkeit?

Gegenwärtig setze ich mich intensiv mit dem sogenannten Adhäsionsverfahren auseinander. Dabei geht es vor allem um die Frage, wie das Strafverfahren auf das Begehren einer geschädigten Person reagiert, Schadensersatz- und Genugtuungsansprüche direkt im Strafverfahren und eben nicht in einem gesonderten Zivilprozess durchsetzen zu wollen.

Daneben bin ich Fellow der Digital Society Initiative an der Universität Zürich und betreibe ein Forschungsprojekt zur dynamischen Einwilligung. Eine solche dynamische Einwilligung kann als digitale Schnittstelle verstanden werden, die zwischen Patienten und forschenden Ärzten mehr Kommunikation und Partizipation gestattet. Hierbei prüfe ich quasi, inwieweit der Satz «From Patient to Partner» sinnvoll ausgefüllt werden kann und wo er an seine Grenzen stösst. Da das Pflegerecht ein Bereich ist, der mindestens so stark wie das Medizinrecht einen Regelungsgegenstand hat, der von der Kommunikation der Beteiligten untereinander lebt, erhoffe ich mir, Erkenntnisse aus diesem Projekt übertragen zu können.

Könnten Sie die dynamische Einwilligung noch etwas genauer erklären?

Die dynamische Einwilligung – im Englischen spricht man von Dynamic Consent – unterstützt die aktive Einbindung des Patienten während eines Forschungsprojektes. Aktuell wird in der medizinischen Forschung viel mit dem Generalkonsent gearbeitet. Dabei willigen Patienten ein, dass ihre Daten und Proben allgemein für Forschungszwecke weiterverwendet werden dürfen. Zum Zeitpunkt, in dem man diesen Generalkonsent unterschreibt, ist dabei noch nicht klar und damit unvorhersehbar, wofür genau die Daten verwendet werden. Die dynamische Einwilligung bietet hier mehr. Sie ermöglicht dem Patienten etwa, sich im Laufe des Forschungsprozesses immer wieder einzubringen, zum Beispiel nochmals eine Einwilligung zu geben, wenn die eigenen Daten für die Beantwortung einer neuen oder weiteren Forschungsfrage verwendet werden. Die Digitalisierung unterstützt die Kommunikation in diesem Prozess. So können zum Beispiel anhand von Videos Hintergrundinformationen zum Forschungsvorhaben oder zu speziellen Risiken gegeben werden. Es ist auch vorstellbar, dass eine gewisse Automatisierung genutzt wird. Zum Beispiel, wenn jemand an einer speziellen Erkrankung leidet und automatisch darüber informiert wird, wenn Forschung hierzu betrieben wird. Somit haben diese Patienten die Möglichkeit, sich über aktuelle Forschungsentwicklungen bezüglich ihrer Erkrankung auf dem Laufenden zu halten.

Welche Chancen und Herausforderungen bergen neue Technologien und die Digitalisierung in der Gesundheitsversorgung für das Strafrecht?

Eine Chance sehe vor ich allem dort, wo Digitalisierung auch Partizipation bedeuten kann. So etwa, wenn ich entscheiden kann, wie und ob ich mit meinen Gesundheitsdaten an medizinischer Forschung teilnehmen möchte. Dem ein wenig näher zu kommen, versuche ich mit dem Forschungsprojekt zur «dynamischen Einwilligung».

Dies ist aber zugleich auch eine grosse Herausforderung für das Recht. Der Umgang mit Gesundheitsdaten birgt immer auch ein Missbrauchspotenzial. Hier gilt es aus meiner Sicht, zum einen die Systeme vor Missbrauch zu schützen und zum anderen – Miss- Aus der ZeitschriftPflegerecht 4/2018 | p. 275–276 Es folgt Seite № 276brauch wird sich nie zu 100% eliminieren lassen – die Mittel des Strafrechts dafür zu nutzen, den Missbrauch wirksam zu sanktionieren.

In Bezug auf die Pflege sehe ich die Digitalisierung vor allem dort als Chance, wo sie es gestattet, dass für die Begegnung von Menschen untereinander Ressourcen gewonnen werden.

Mit neuen technologischen Möglichkeiten geht für mich die Frage einher, wie bestimmen wir die Grenze zwischen sinnvoll und schlicht machbar.

Welche Entwicklung des Schweizer Gesundheitswesens sehen Sie kritisch?

Es ist schon beachtlich, wie sich die Gesundheitskosten entwickeln und die hiergegen vorgenommenen Massnahmen selten den gewünschten Erfolg erzielen. Hier stellt sich mir schon die Frage, wie dauerhaft sichergestellt wird, dass die notwendige medizinische und pflegerische Versorgung der breiten Masse zur Verfügung steht. Aus meiner Sicht kann dies nur über eine Stärkung von solidarischen Strukturen erfolgen. Unter einer Stärkung der Struktur verstehe ich dabei sowohl das Verstärken durch neue Säulen und Streben als auch das Überprüfen der Lasten, die bereits die Tragfähigkeit des Gesundheitssystems belasten. Inwiefern hat Sie die Beschäftigung mit dem Recht persönlich weitergebracht?

Es ist vielleicht nicht so sehr die Beschäftigung mit dem Recht an sich, sondern die Beschäftigung mit Menschen, die um (ihr) Recht gekämpft haben. Das hat mir geholfen, zu verstehen, dass das Recht, auch wenn es ab und an ernüchternd sein kann, letztlich – in einem rechtstaatlichen Sinne – hilfreich, stützend, sinnvoll und unabdingbar ist. Die Beschäftigung mit dem Recht ist etwas, das mir seit dieser persönlichen Erkenntnis kaum je verleiden wird und grosse Freude bereitet.

Das Interview führte

Heidrun Gattinger

im Namen der Redaktion

der Zeitschrift «Pflegerecht»