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Aus der ZeitschriftPflegerecht 1/2017 | S. 1–1Es folgt Seite №1

Editorial

Im Zeitpunkt der Drucklegung dieses Heftes, das Sie, liebe Leserinnen und Leser in Händen halten, wütete eine aggressive Grippe, deren Opfer Sie vielleicht auch gewesen sind. Meine Person hatte Glück und konnte an die Sonne Andalusiens entfliehen, bevor die Viren zuschlugen. Grippezeiten eignen sich perfekt, um über die moralisch-ethische bzw. juristische Verpflichtung, sich einer Grippeimpfung zu unterziehen, nachzudenken. Maya Shala, Stéphanie Perrenoud und Simone Romagnoli bereichern mit ihrem Beitrag diese Grundsatzdiskussion und gehen dabei nicht nur auf die ethischen, sondern auch juristischen Aspekte einer Impfpflicht in differenzierter Weise ein.

Es bleibt lediglich anzufügen, dass Impfpflicht und Impfzwang nicht dasselbe sind. Ersteres betrifft das Impfenmüssen, Letzteres die Durchsetzung einer allfälligen Impfpflicht mit hoheitlichem Zwang. Man mag darüber räsonieren, ob eine Pflicht, die nicht durchgesetzt wird, überhaupt eine Pflicht ist – aber das wäre Gegenstand eines anderen Beitrags. Peter Breitschmid beendet mit seinem zweiten Teil die facettenreiche Auslegeordnung der Probleme, die sich im Zusammenhang mit Patientenverfügungen stellen. Es bleibt die Erkenntnis, dass das Sterben und nicht der Tod das Problem ist – auch in juristischer Hinsicht!

Das von Mirjam Werlen betreute Forum dieses Hefts ist der bis anhin zu wenig im kollektiven Bewusstsein befindlichen Problematik der Geschlechtsvarianten gewidmet. Während das Gesetz strikt zwischen Männlein und Weiblein unterscheidet, öffnet die Natur eine viel breitere Variation und stellt dabei nicht nur die Personen, bei welchen anlässlich der Geburt das anatomisch-biologische Geschlecht nicht eindeutig bestimmt war, sondern auch deren Eltern sowie das Arzt- und Pflegepersonal vor unterschiedliche Probleme. Im späteren Verlauf des Lebens gesellt sich regelmässig die Frage hinzu, ob die Solidargemeinschaft der Sozialversicherten die Kosten der elterlichen Betreuung oder von allfälligen späteren medizinischen Eingriffen trägt. Ueli Kieser, Martina Filippo, Alecs Recher, Franziska Sprecher und Corina Salis Gross widmen sich in ihren Kurzbeiträgen dieser und anderen Erscheinungsformen seltener Krankheiten und betonen in ihren Kurzbeiträgen mit Fug und Recht die Notwendigkeit, dass der Gesetzgeber sich vor der Natur beugt und anerkennt, dass wir Menschen mit unterschiedlichen Geschlechtsvariationen sind.

Die von Brigitte Blum-Schneider betreute Rubrik Gesetzgebung ist mehr als nur Beleg dafür, dass es ein Pflegerecht gibt und dieses, zumindest was die Tätigkeit im Parlament anbelangt, sehr lebhaft ist. In der Rubrik Rechtsprechung werden zwei Urteile besprochen. Julian Mausbach referiert einen Entscheid des Obergerichtes des Kantons Zürich, der sich mit der Frage auseinandergesetzt hat, welche Strafe für einen Mord und einen Raub in einem Alterszentrum angemessen ist. Hardy Landolt weist ebenfalls auf einen vom Bundesgericht mittlerweile gutgeheissenen kantonalen Entscheid hin, der eine Leistungspflicht für die Fahrbegleitung des schwer behinderten Bruders im Rahmen der Vergütung für Krankheits- und Behinderungskosten abgelehnt hat.

Brigitte Blum-Schneider hat mit Ignazio Cassis ein Interview geführt. Der Interviewpartner ist seit einiger Zeit Präsident der Kommission für soziale Sicherheit und Gesundheit und damit einer der wichtigen Player für die Entwicklung des Pflegerechtes auf Bundesebene. Das Interview ist eine Kurzfassung der Herausforderungen, die nicht nur die Politik, sondern auch die Juristen im Verlauf der kommenden Jahrzehnte zu bewältigen haben werden. Die Gesellschaft wird sich entscheiden müssen, wie sie mit pflegebedürftigen Menschen umgeht – aus der Perspektive der Kostenminimierung oder aus der Perspektive der Selbstbestimmung!

Das so volle Heft enthält für einmal keine Hinweise auf Neuigkeiten oder zwischenzeitlich ergangene neue Literatur. Was bleibt, ist der Dank der Redaktion an Sie liebe Leserinnen und Leser für Ihre Treue und Interesse an der Zeitschrift Pflegerecht – bleiben Sie gesund und munter!

Ihr

Prof. Dr. iur. Hardy Landolt LL.M.