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Aus der ZeitschriftPflegerecht 1/2019 | p. 67–68Es folgt Seite №67

Interview mit …

Lieber Peter, in den ersten beiden Ausgaben dieser Zeitschrift im Jahr 2012 hast du gemeinsam mit Caroline Wittwer einen Grundlagenbeitrag mit dem Titel «Pflegerecht – eine Standortbestimmung» publiziert. Siehst du seither Bewegung im Pflegerecht?

Na ja… Ich denke nicht, dass die Formulare kürzer und das Betreuungsverhältnis zwischen Pflegenden und Patienten besser geworden sind… Der Zeitschrift Pflegerecht diagnostiziere ich noch einige wichtige Beiträge… Ziel des Rechts müsste sein, eine Ordnung zu schaffen, die sich möglichst konfliktfrei und aus Überzeugung aller Beteiligten selbst verwirklicht. Ziel der Pflege ist das Wohlbefinden der Pflegebedürftigen. Ziel der pflegerechtlichen Wissenschaft wäre mithin, sich in dem Sinne überflüssig zu machen, dass fachliche und menschliche Pflege sich möglichst ohne Recht verwirklicht. Ich hoffe jedenfalls, dass mir dereinst in pflegebedürftigem Zustand weder Formulare noch das ZGB vorgelesen werden.

Deine fachlichen Schwerpunkte liegen im ZGB, vor allem auch im Erbrecht. Inwiefern eröffnet dieser Zugang zum Thema besondere Perspektiven?

Auch der Erbrechtler (und gerade der kinderlose) weiss nicht, wie sich seine Erben verhalten werden… Aber sicher ist er (zumindest im aktuellen, noch relativ jugendlichen Alter…) recht entspannt angesichts des Gedanken, dass wir alle sterben werden… Ja: Es ist so! Da nützt die beste Pflege mit aller rechtlichen Unterlage nichts… Aber wenn sich im erbrechtlichen Feld Lösungen ergeben, die ein einigermassen zufriedenstellendes zwischenmenschliches Verhältnis und wirtschaftlichen Ausgleich unter status- und/oder emotional verbundenen Menschen (und auch jenen, die sich menschlich nicht so nahe sind) ermöglichen, wäre viel gewonnen. Erbrecht ist nämlich zwar nicht Familienrecht (nicht Art. 90 ff. ZGB, sondern erst Art. 457 ff. ZGB), aber «Familien»-Recht ist längst «Beziehungsrecht» geworden, und über diese Beziehungen sind wir im Rudel unweigerlich verflochten – die Steinzeit ist gar nicht so weit weg. Das Rudel hat eine gewisse Mitverantwortung für alle seine Glieder, es ist sozial und nicht allzu autonom-individualistisch…

Das Kindes- und Erwachsenenschutzrecht gehört zu deinen weiteren Schwerpunkten. Wo siehst du aus dieser Perspektive in den nächsten Jahren die grössten Herausforderungen?

Der KESR-Bereich hat es nicht mit den gesunden, selbstbestimmten, autonomen perfekten Menschen aus der TV-Werbung zu tun, sondern mit jenen, die kaum auf der Bildfläche erscheinen, sondern knapp an der Wasserlinie strampeln oder hoffnungslos treiben. Die Hoffnung auf Autonomie ist manchmal eher etwas optimistisch, und Schwäche ist in unserer fitten Gesellschaft stigmatisiert. Die Herausforderung wird darin liegen, dass die Starken die Bedürfnisse der Schwachen erkennen und diese weiterhin stützen und dass die Schwachen die Stärke der Stärkeren nicht einfach als Bedrohung empfinden… dass mithin die Kluft in der Gesellschaft nicht weiter wächst. Je mehr fitte Menschen die zwangsläufige und selbstverständliche Erfahrung von Schwäche (z.B. in Form von demenziellen Entwicklungen bei Angehörigen) machen (müssen), desto mehr verstärkt sich hoffentlich dieses Bewusstsein wieder. Das sind eigentlich Banalitäten, aber weil das Heft ja nicht zum 1. August erscheint, kann man das Thema doch ein zweites Mal im Jahr mal kurz anschneiden…

In den nächsten Wochen wirst du emeritiert. Gibt es im Rückblick auf die letzten Jahrzehnte Entwicklungen in Rechtsprechung oder Gesetzgebung, die du für völlig verfehlt hältst? Und gibt es positive Entwicklungen?

Ich bin kein zukunftspessimistischer Mensch und auch kein Vergangenheitsverehrer, sondern lebe heute. Aber ich bin auch nicht in dem Sinne zukunftsgläubig, dass ich das «goldene Zeitalter» erwarten würde (oder gar glaube, dass JuristInnen bzw. der Gesetzgeber da einen entscheidend nützlichen Beitrag leisten könnten). Ich glaube eher daran, dass jede Zeit ihre Stärken und Schwächen hatte, hat und haben wird. Schon meine Profs an der Uni fanden, unser Deutsch sei schlecht, und das finde ich heute meinerseits, und ich bin überzeugt, dass auch meine NachfolgerInnen nicht von diesem Urteil abrücken Aus der ZeitschriftPflegerecht 1/2019 | p. 67–68 Es folgt Seite № 68werden… Und ich hatte schon vor vielen, vielen Jahren den Satz geprägt, dass auch die Windeln von Designerkindern stinken werden: Mensch werden und sein wird immer mit gewissen Schwierigkeiten verbunden sein. Die Freude an eher konsumgetriebenen Neuanschaffungen hält in der Regel nicht allzu lange, und wenn man die Halbwertszeit heutiger Gesetzgebung (d.h. die Dauer, bis neue Gesetze bereits revidiert werden) betrachtet, ist kaum eine echte Vision, sondern eher Flickschusterei angesagt.

Hast du für deinen bevorstehenden Unruhestand auch Pläne, die einen Bezug zum Pflegerecht aufweisen?

Zum Recht schon, da habe ich Pläne: als Konsulent in der fachanwaltlichen Erbrechtsboutique Strazzer Zeiter, als Dozent bei der Kalaidos Law School und natürlich weiterhin auch verbunden mit der UZH und deren Weiterbildungsangeboten wie dem CAS MedLaw und in einzelnen kleinen, feinen Veranstaltungen mit Studierenden, zweifelsohne aber auch im einen oder andern Gespräch im beruflichen und privaten Freundeskreis: Seit Patientenverfügung und Vorsorgeauftrag in aller Munde sind, ist der Jurist auf der Party schon fast gleichermassen gefragt wie früher schon die Ärzteschaft im unverbindlichen und nicht kassenvergüteten Vieraugengespräch. Bevor man einen Beistand braucht, leistet man Beistand.

Zum pflegerischen Aspekt des Themas hoffe ich, dass die Bezüge einstweilen nicht allzu eng werden…

Das Interview führte

Thomas Gächter

im Namen der Redaktion

der Zeitschrift «Pflegerecht»