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Aus der ZeitschriftPflegerecht 2/2021 | p. 139–141Es folgt Seite №139

Interview mit...

Heike Geschwindner PhD, MNS, Leiterin Pflegeforschung und -wissenschaft, Gesundheitszentren für das Alter, Zürich

Sehr geehrte Frau Geschwindner, Sie sind als Leiterin Pflegeforschung und -wissenschaft der Pflegezentren der Stadt Zürich intensiv in die Forschung einbezogen. Gestatten Sie uns einen Einblick in Ihre Arbeitsfelder?

Es ist nicht selbstverständlich, dass eine Institution der Langzeitpflege Pflegeforschung und Pflegeentwicklung als notwendig ansieht und einen solchen Fachbereich etabliert. Gerade die Langzeitpflege bietet ein ideales Feld für die Pflegeforschung, aber auch die interprofessionelle Forschung.

Immer wieder erhielten die Pflegezentren der Stadt Zürich Anfragen von Fachhochschulen oder Universitäten, ob sie nicht das Forschungsfeld für ihre Forschungsvorhaben von Masterarbeiten, Dissertationen bis zu Nationalfondstudien stellen könnten. Mit der Zeit entstanden daraus mit verschiedenen Hochschulen Forschungskooperationen, sodass die Pflegezentren jetzt gleichberechtigte Forschungspartner sind.

Die Anfragen für eine Studienteilnahme kommen über verschiedene Kanäle in die Pflegezentren, teils in die einzelnen Betriebe. Gerade in Zeiten, in denen Studierende im Rahmen ihrer Masterarbeit ein Forschungsfeld zum Untersuchen ihrer empirischen Fragestellungen benötigen, häufen sich die Anfragen. Mit den einzelnen Pflegezentren ist vereinbart, dass ich alle Anfragen bearbeite und prüfe. Oft muss ich um weitere Informationen bitten. Besonders bei Anfragen für Abschlussarbeiten zum Erlangen eines Diploms sind die Angaben oft sehr vage. Das Ziel meiner Beurteilung der Anfragen ist es, eine Empfehlung zur Teilnahme durch Aufzeigen des zu erwartenden Aufwands und des potenziellen Nutzens für unsere Institution abzugeben. Die Entscheidung zur Teilnahme liegt dann auf der operativen Ebene.

So kann es vorkommen, dass alle acht Pflegezentren inklusive Pflegewohngruppen an einer Studie teilnehmen. Manchmal sind es aber auch nur einzelne Betriebe. Ein Beispiel für eine Studie, an der sich alle Betriebe beteiligt haben, ist die Studie Zurich Life and Death with Advanced Dementia (ZULIDAD) im Rahmen des Nationalen Forschungsprogramms Lebensende. Momentan läuft in drei Pflegezentren eine Studie in Kooperation mit der ZHAW Pflege, mit der wir herausfinden wollen, ob die rehabilitative Übergangspflege nach einem Spitalaufenthalt dazu beiträgt, dass jemand länger zu Hause leben kann. Im Rahmen der Altersstrategie 2035 der Stadt Zürich wurden die Pflegezentren und die Alterszentren der Stadt Zürich als Gesundheitszentren für das Alter zusammengelegt. Das erweitert den Fokus auf andere Fragestellungen in der Versorgung von alten Menschen und somit auch das zukünftige Forschungsfeld.

Sie begegnen bei Ihrer Forschung immer wieder auch juristischen Fragestellungen. Welche Ausstrahlung hat das Recht auf die tatsächliche Praxis in der Pflegeforschung?

Eine Herausforderung für die Teilnahme an Studien ist die Information von Bewohnerinnen und Bewohnern sowie deren Angehörige über ein geplantes Forschungsvorhaben und das Einholen der Einwilligung. Etwa 70% der Bewohnerinnen und Bewohner der Pflegezentren der Stadt Zürich haben eine Demenz. Das heisst, dass wir für die Einwilligung zur Studienteilnahme auch auf die Angehörigen zugehen müssen. Dabei ist es hilfreich, dass bereits bei Eintritt der Bewohner/-in mit ihr/ihm und den Angehörigen abgeklärt wird, wer für welche Belange unser Ansprechpartner ist.

Sehr gute Erfahrungen haben wir gemacht, wenn jemand aus dem Studienteam persönlich die potenziellen Teilnehmenden und ihre Angehörigen informiert. Diese Person bleibt auch während der Studie die Ansprechperson für Bewohner/-in und/oder Angehörige. Dank diesem Vorgehen können wir gut Teilnehmer rekrutieren, und darüber hinaus bleibt die Drop-out-Rate im Studienverlauf niedrig.

Im Jahr 2017 haben die Pflegezentren der Stadt Zürich den Generalkonsent eingeführt, um die vorhandenen routinemässig erfassten Daten zum Beantworten von Forschungsfragen nutzen zu können. Bis heute leider mit mangelndem Erfolg – nur von einem Drittel liegt der Generalkonsent vor und nur von we- Aus der ZeitschriftPflegerecht 2/2021 | p. 139–141 Es folgt Seite № 140nigen eine dokumentierte Ablehnung. Hier zeigt sich deutlich, dass die Vorgehensweise und Verantwortlichkeit im Betrieb ausschlaggebend dafür sind, ob dem Generalkonsent zugestimmt wird oder nicht. Je nach Pflegezentrum ist die Verantwortlichkeit beim Arztdienst oder beim Sozialdienst angesiedelt. Die Haltung der vom Betrieb festgelegten verantwortlichen Person oder Berufsgruppe spielt bei der Aufklärung und dem Einholen der Einwilligung eine wichtige Rolle.

Auch hier zeigt sich, dass ein persönliches Gespräch zur Aufklärung, die Möglichkeit Fragen zu stellen und dem Gegenüber das Gefühl zu vermitteln, ernst genommen zu werden, eher zu einer ausgewogenen Entscheidung führen als das reine Aushändigen oder Zusenden der schriftlichen Information.

Ein grosser Anteil unserer Bewohnerinnen und Bewohner wird von einem Beistand betreut, was als erschwerend sowohl für das Einholen einer Einwilligung zu einer Studienteilnahme als auch für den Generalkonsent ist. Oft sehen sich die Beistände ausserstande, eine aus ihrer Sicht so schwerwiegende Entscheidung wie die Einwilligung in den Generalkonsent zu treffen. Begründet wird dies dann mit diversen rechtlichen Gründen, fehlender Zuständigkeit oder der eigenen Haltung gegenüber der Forschung. Um dem konstruktiv zu begegnen, wird es notwendig sein, die wesentlichen Punkte rund um Forschung, Informed Consent und Generalkonsent mit Sozialarbeiter/-innen und Beiständen zu thematisieren.

Sie sind als Mitglied der kantonalen Ethikkommission auch mit ethischen und rechtlichen Aspekten der Forschung befasst. Hat Sie die Beschäftigung damit auch persönlich weitergebracht?

Die Beschäftigung mit den ethischen Aspekten der Forschung ist durch meinen langjährigen Einsitz in der kantonalen Ethikkommission in vielen Situationen hilfreich. Dies nicht nur auf Forschung bezogen, sondern auch auf wiederkehrende Situationen in der pflegerischen und medizinischen Praxis in Spital und Langzeitinstitution.

Für die Einwilligung in Studien werden eine zielgruppengerechte Information und Bedenkzeit verlangt. Aber wie sieht es bei der Aufklärung betreffend Entscheidungen für oder gegen eine Behandlung oder Reanimation aus? In Advanced Care Planning sehe ich eine grosse Chance, dass den Werten und Präferenzen der Patientinnen und Patienten zukünftig besser Rechnung getragen wird.

Die Auseinandersetzung mit den ethischen Aspekten und dem Humanforschungsgesetz ist hilfreich bei der Beratung einer Mitarbeiterin/eines Mitarbeiters, die/der im Rahmen eines Studiums eine kleine Studie durchführen will. Diskutiert werden dann: Ist mein Forschungsvorhaben im gegebenen Zeitrahmen und mit dieser Methode realisierbar? Muss ein Gesuch bei der kantonalen Ethikkommission eingereicht werden und wenn ja, welches? Es ist ein Abwägen von Aufwand und Ressourcen.

Bei Anfragen von externen Studenten und Studentinnen, die nur in den Pflegezentren eine Qualifikationsarbeit durchführen wollen, ist mir aufgefallen, dass die eventuelle Bewilligung des Vorhabens durch die Ethikkommission in der Vorbereitung nicht immer thematisiert wird.

Wie hat sich die COVID-19-Pandemie auf die Forschungsvorhaben in Ihrer Institution ausgewirkt, welche Herausforderungen sind aufgetreten?

Ich würde nicht sagen, dass wir in den Pflegezentren bei der COVID-19-Forschung vor besonderen Herausforderungen stehen, sondern dass in der Langzeitpflege und Geriatrie andere Themen im Fokus der Forschung stehen.

So haben wir im April 2020, nachdem innert zweier Tage vermehrt COVID-19-Fälle auftraten, mittels einer Testung aller Bewohnerinnen und Bewohner aus zwei Pflegezentren herausgefunden, dass ca. 40% der positiv getesteten Personen zum Zeitpunkt der Testung asymptomatisch waren. Ein Viertel von ihnen ist asymptomatisch geblieben. Unser Vorteil war, dass wir gute Verlaufsdaten dieser Bewohner/-innen hatten, die sonst nur im Rahmen einer Hospitalisation von schweren Krankheitsverläufen vorliegen würden. So können wir auch Aussagen zu alten Menschen mit asymptomatischen COVID-19-Verlauf machen.

Allerdings stellte uns SARS-CoV-2 bei der Weiterführung der Studie zum Outcome der rehabilitativen Übergangspflege vor Herausforderungen. Zu Beginn des Lockdowns konnten wir die Rekrutierung abschliessen. Das Studienprotokoll sieht einen Hausbesuch 6 und 12 Monate nach Austritt nach Hause aus dem Pflegezentrum vor. Die Hausbesuche mussten wir bis Juni aussetzen. Obwohl der wissenschaftliche Mitarbeiter während der ganzen Zeit telefonisch mit Teilnehmenden Kontakt gehalten hatte, konnten sie sich oft nicht daran erinnern. Die Kontakte mussten nach und nach erneut aufgebaut werden, um die ausstehenden Hausbesuche noch durchführen zu können.

Der Beginn einer anderen empirischen Studie mit einem externen Kooperationspartner musste bereits mehrmals verschoben werden. Für alle Beteiligten keine befriedigende Situation.

Aus der ZeitschriftPflegerecht 2/2021 | p. 139–141 Es folgt Seite № 141Welche Frage würden Sie selbst einmal gerne beantworten, und was wäre Ihre Antwort?

Ein Thema, das mich schon länger beschäftigt, ist das Bild und das Image der Langzeitpflege bei den Berufen des Gesundheitswesens. Immer noch herrscht das Bild des Pflegeheims als Endstation vor, einhergehend mit den gleichen sich immer wiederholenden Pflegemassnahmen. Also ein uninteressanter Arbeitsort. Dass sich die Praxis in den letzten ca. zehn Jahren deutlich verändert hat, wurde zu wenig wahrgenommen. Die Hälfte der Bewohnerinnen und Bewohner kehrt heute nach wenigen Wochen Aufenthalt wieder nach Hause zurück. Die Personen, die definitiv nicht mehr zu Hause gepflegt und betreut werden können, sind heute multimorbid, in einem oft instabilen Gesundheitszustand und physisch und kognitiv deutlich stärker eingeschränkt. Aufgrund dieser Voraussetzungen sind Langzeitpflegeinstitutionen eigentlich ein ideales Arbeitsgebiet für diplomierte Pflegefachpersonen HF und APN. Die pflegerischen Kompetenzen und Skills stehen im Vordergrund, weniger die medizinische Behandlung.

Ich wünsche mir, dass mehr Studierende Pflege die Chance von Praktika in der Langzeitpflege nutzen und so einen Einblick in unseren Alltag gewinnen.

Sollten Sie dereinst einmal selbst auf Pflege angewiesen sein, wie würden Sie sich eine adäquate Pflege für sich vorstellen?

Wichtig wäre mir eine partizipative Pflege und Betreuung. Meine Vorlieben und Ticks sollen Raum haben, aber auch meine Abneigungen bzw. das Ablehnen von bestimmten Massnahmen akzeptiert werden. Das setzt allerdings voraus, dass ich zum Zeitpunkt, an dem ich auf Pflege angewiesen bin, nicht kognitiv beeinträchtigt bin.

Eine formelle Patientenverfügung würde mir nicht ausreichen, sondern Advanced Care Planning wäre Voraussetzung.

Vor einigen Jahren erzählte mir eine ältere Arbeitskollegin, dass sie ihre Vorlieben, Abneigungen und Ticks notiert und quasi eine Pflegeplanung für sich erstellt hae, für den Fall, dass sie dement werden würde. Das gebe ihr das Gefühl, auch dann bis zu einem gewissen Grad mitreden zu können. Eigentlich keine schlechte Idee.

Das Interview führte

im Namen der Redaktion

der Zeitschrift «Pflegerecht».