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Aus der ZeitschriftPflegerecht 1/2023 | S. 59–60Es folgt Seite №59

Interview mit…

Rainer Perprunner, Inhaber der Firma Betreuungs-Spezialist, einer Verleihfirma für Betreuungskräfte in privaten Haushalten, und zudem Vorstandsmitglied des Branchenverbandes Zuhause Leben

In der jungen Branche der Seniorenbetreuung zu Hause fehlt eine allgemeingültige Hausordnung.

Herr Perprunner, was ist Altersbetreuung zu Hause?

Es geht darum, Seniorinnen und Senioren in ihrem eigenen Haus oder der eigenen Wohnung zu betreuen. In den eigenen vier Wänden und dem gewohnten Umfeld selbstbestimmend alt zu werden, bedeutet den meisten älteren Menschen sehr viel, und deshalb bevorzugen sie auch diese Lösung, anstatt in ein Alters- oder Pflegeheim einzutreten. In den letzten zehn Jahren hat diese Form der Altersbetreuung stark zugenommen. Allein in der Schweiz dürften heute laut verfügbaren Zahlen etwa 20000 ältere Personen zu Hause betreut werden.

Was beinhaltet eine Betreuung zu Hause?

Betreuung bedeutet, die älteren Menschen im Alltag zu unterstützen. Dazu gehören die Besorgung von Verrichtungen im Haushalt, Kochen von Mahlzeiten, aber auch die Begleitung bei Terminen etwa zum Arzt, beim Einkaufen oder zur Wahrnehmung sozialer Kontakte.

Grundsätzlich geht es um nicht medizinische Dienstleistungen, aber auch darum, den Senioren und Seniorinnen im Tagesablauf und bei Spaziergängen Gesellschaft zu leisten. Nicht zur Betreuung gehören Pflegeleistungen, die medizinischen Charakter haben. Diese werden von beigezogenen Dritten wie Spitex-Organisationen übernommen, die über anerkannte Pflegefachleute verfügen.

Dann ist Betreuung zu Hause nicht in allen Fällen möglich?

Das stimmt. Wenn ältere Menschen eine intensive medizinische Pflege brauchen, kann diese sicher nicht in allen Fällen zu Hause erfolgen. Hier ist dann der Eintritt in ein Alters- oder Pflegeheim die bessere Wahl.

Was sind das für Personen, die solche Betreuung übernehmen?

Wenn nicht Familienangehörige selbst diese Betreuung übernehmen, sind es vor allem Arbeitnehmende aus Polen, der Slowakei, Rumänien oder Ungarn. Häufig verfügen diese Personen über ein gutes Ausbildungsniveau und sprechen in der Regel auch gut Deutsch. Sie kommen aufgrund des hohen Lohnniveaus in die Schweiz und verbessern damit die finanzielle Situation ihrer Familie im Herkunftsland, oder sie finanzieren z.B. ihren Kindern das Studium.

Wie finden diese Arbeitnehmenden eine Stelle in einem schweizerischen Haushalt?

Nicht selten verfügen die arbeitswilligen Personen über ein Beziehungsnetz in der Schweiz. Sonst nehmen sie eine Vermittlungs- oder Personalverleihfirma in Anspruch. Bei der Vermittlung führt ein kommerziell tätiger Vermittlungsbetrieb die Betreuungsperson und den Privathaushalt zusammen. Der Privathaushalt wird direkter Arbeitgeber der Betreuungsperson.

Wenn die betagte Person durch einen Mitarbeiter oder eine Mitarbeiterin des Verleihbetriebes betreut wird, ist der Verleihbetrieb der Arbeitgeber. Auch wenn das Weisungsrecht zu einem wesentlichen Teil der betreuten Person selbst zusteht.

Nach den Angaben des SECO sind über die Hälfte der rund 20000–30000 in der Schweiz tätigen Betreuungspersonen in einem direkten Arbeitsverhältnis mit der betreuten Privatperson.

Wie sehen die Arbeitsbedingungen aus, sind es bei direkt angestellten Arbeitnehmenden und im Personalverleih die gleichen?

Nein, da gibt es erhebliche Unterschiede. Betriebe, die Privathaushalten Personen für die Betreuung von älteren Menschen zur Verfügung stellen, unterstehen als Personalverleiher dem Arbeitsvermittlungsgesetz, sie brauchen dazu eine Verleihbewilligung. Als Verleihbetriebe unterstehen sie seit 2016 auch dem Gesamtarbeitsvertrag Personalverleih. Entsprechend gelten minimale Arbeitsbedingungen, so ein verbindlicher Minimallohn und eine wöchentliche Normalarbeitszeit von 42 Stunden bei einem vollen Arbeitspensum. Dieser Minimallohn beträgt etwa für einen angelernten Arbeitnehmenden in einem Aus der ZeitschriftPflegerecht 1/2023 | S. 59–60 Es folgt Seite № 60Hochlohngebiet ab Januar 2023 CHF 22.79 pro Stunde. Zusätzlich besteht Anspruch auf den 13. Monatslohn und eine gut ausgebaute Krankentaggeldversicherung.

Werden Betreuungspersonen hingegen durch Privathaushalte angestellt, sind die Arbeitnehmenden nicht dem GAV Personalverleih unterstellt. Es gelten einzig die allgemeinen arbeitsvertraglichen Regelungen nach dem Obligationenrecht sowie die Mindestlöhne gemäss dem Normalarbeitsvertrag Hauswirtschaft.

Je nach Anstellung gelten also unterschiedliche Arbeitsbedingungen für die einzelne Betreuungsperson?

Das trifft tatsächlich zu. Verstärkt werden diese Unterschiede seit einem Jahr noch weiter durch einen Bundesgerichtsentscheid. Gemäss diesem unterstehen Anstellungen in Privathaushalten dem Arbeitsgesetz, wenn sie im Rahmen von Personalverleih erfolgen. Sind es Direktanstellungen von Privatpersonen, gilt jedoch das Arbeitsgesetz nicht.

Was heisst diese unterschiedliche Behandlung im konkreten Fall?

Im Arbeitsgesetz gibt es strenge Vorschriften über maximale Arbeits- und minimale Ruhezeiten. Als Beispiel: für Betreuungspersonen gilt nach Arbeitsgesetz eine tägliche Ruhezeit von 11 Stunden, diese muss neben der Arbeitszeit und dem Bereitschaftsdienst berücksichtigt werden. Der Verband Zuhause Leben, in dem die meisten Verleihfirmen der Branche zusammengeschlossen sind, hat ein Standardarbeitsmodell entwickelt, das den Vorgaben des Arbeitsgesetzes grundsätzlich Rechnung trägt. Es stellt auch klar, dass eine Betreuungsperson in keinem Fall rund um die Uhr, also 24 Stunden, präsent sein darf, wie dies oft fälschlicherweise angenommen wird. Damit die arbeitsrechtlichen Regelungen in Zukunft noch klarer festgehalten werden, hat der Verband Zuhause Leben sich zudem für die Schaffung eines Anhangs der Live-in-Branche im GAV Personalverleih stark gemacht. Ein solcher wird im Moment zwischen den GAV-Vertragsparteien im Beisein von Zuhause Leben ausgearbeitet.

Im Unterschied dazu fehlen bei Direktanstellungen in Privathaushalten solch verbindliche Arbeitsbedingungen. Tendenziell verschlechtert sich dadurch der Arbeitnehmerschutz für solche Betreuungspersonen, und das Risiko von Missbrauch ist viel grösser.

Der Verband Zuhause Leben, der 2018 gegründet wurde, setzt sich für eine einheitliche Hausordnung in der Branche ein, einerseits zum besseren Schutz der Arbeitnehmenden, andererseits aber auch, um das Image der Branche in der Öffentlichkeit zu verbessern.

Wie sieht die Zukunft der Betreuung zu Hause aus?

Durch die demografische Entwicklung der Bevölkerung sowie das Bedürfnis, möglichst lange zu Hause wohnen zu bleiben, nimmt der Bedarf nach solchen Betreuungsangeboten weiter zu. Damit solche Leistungen für breite Kreise älterer Personen finanzierbar sind, müssen in Zukunft auch die von Staat und Krankenkassen bezahlten Betreuungs- und Pflegeleistungen neu definiert werden.

Gelingt es der Politik, diesen Wandel vorzunehmen und die Arbeitsbedingungen der Betreuungspersonen klar und für alle Anstellungsverhältnisse einheitlich zu regeln, wird die Betreuung zu Hause zu einem wichtigen Pfeiler der Gesundheitsversorgung werden.

Das Interview führte

im Namen der Redaktion der Zeitschrift «Pflegerecht».