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Aus der ZeitschriftPflegerecht 1/2024 | S. 1–2Es folgt Seite №1

Editorial

Im Fokus dieser Ausgabe steht die freiberufliche Pflege. Diese findet bis anhin in doppelter Hinsicht nicht die angemessene Beachtung. Einerseits spielt die Pflege im Diskurs über die freien Berufe keine Rolle, und anderseits wird der freiberuflichen Tätigkeit im Rahmen der Versorgung der alternden Bevölkerung mit Pflegeleistungen kaum Bedeutung zugemessen. Bezeichnend für die weithin verbreitete Auffassung, dass es sich bei der Pflege gar nicht erst um einen freien Beruf handelt, ist die Tatsache, dass der Bundesrat in seinem Bericht über die freien Berufe in der Schweiz (in Erfüllung des Postulats Cina vom 19. Dezember 2003, N 03.3663) Pflegeberufe mit Ausnahme der Tätigkeit der Hebamme/Entbindungshelfer nicht erwähnt. Dies erstaunt umso mehr, als die Pflegetätigkeit alle Elemente, die einen freien Beruf charakterisieren, erfüllt. So handelt es sich bei der Pflege um eine personenbezogene Dienstleistung, die eine hohe berufliche Qualifikation voraussetzt und der staatlichen Reglementierung unterliegt. Ein Grund für die Nichtaufnahme in den Reigen der freien Berufe mag wohl sein, dass das personenbezogene Element im Verhältnis zur reinen Ausführung der Pflegeleistung in den Hintergrund gerückt wird. Dass der freiberuflichen Pflege in Zeiten des Fachkräftemangels und im Zuge der Bemühungen, über eine einheitliche Finanzierung von ambulanten und stationären Pflegeleistungen eine Verlagerung von stationär zu ambulant zu erreichen, keine Bedeutung beigemessen wird, erscheint ebenfalls nicht gerechtfertigt. Die Tatsache, dass ein immer grösserer Anteil der Pflegeleistungen in der Schweiz durch freiberufliche Pflegefachpersonen erbracht werden, könnte Grund genug sein, bei der Festlegung der Rahmenbedingungen für die Pflege auch die Interessen dieser Gruppe von Leistungserbringern zu berücksichtigen. Auch wenn die Bedeutung der freiberuflichen Pflegetätigkeit in der Politik noch nicht in dem Masse wahrgenommen wird, wie sie es verdient hätte, versuchen wir Ihnen, liebe Leserin und lieber Leser, das Thema durch die Beleuchtung verschiedener Aspekte näherzubringen.

Den Anfang macht Hardy Landolt zum Thema Leistungspflicht für freiberufliche Pflegeleistungen. Ausgehend vom Ausbildungsweg zur diplomierten Pflegefachperson und zu den gleichgestellten und als gleichwertig anerkannten Ausbildungsabschlüssen wird aufgezeigt, aufgrund welcher Voraussetzungen eine Berufsausübungsbewilligung erteilt wird und eine sozialversicherungsrechtliche Zulassung erfolgt. Darauffolgend werden die durch die Krankenversicherung abgedeckten Pflegeleistungen beschrieben. Schliesslich wird ausgeführt, wie Pflegeleistungen in den verschiedenen Sozialversicherungszweigen vergütet werden, wie hoch der Pflegekostenselbstbehalt ist und wie die Restkostenabgeltung geregelt ist.

Mit der Höhe der Restkostenabgeltung bei freiberuflicher Tätigkeit setzt sich der Beitrag von Andreas Petrik auseinander. Es wird die Bandbreite der kantonalen Regelungsansätze und die damit in der Regel einhergehende Schlechterstellung der Freiberuflichen im Verhältnis zu den gemeinnützigen und öf- Aus der ZeitschriftPflegerecht 1/2024 | S. 1–2 Es folgt Seite № 2fentlich-rechtlichen Unternehmen aufgezeigt. In diesem Zusammenhang wird auf die Auswirkungen der Vorlage zur einheitlichen Finanzierung von ambulanten und stationären Leistungen (EFAS) auf die Restkostenabgeltung eingegangen.

Mit verschiedenen Aspekten der selbständigen Pflegetätigkeit befasst sich Hardy Landolt im dritten Beitrag. Die Selbständigkeit wird aus gesundheitspolizeilicher, sozialversicherungsrechtlicher und steuerrechtlicher Sicht beleuchtet. Besondere Fragen stellen sich, wenn Angehörige gepflegt werden. So ist etwa zu klären, wann von einer entgeltlichen Pflegetätigkeit auszugehen ist und welche sozialversicherungsrechtlichen Folgen damit verbunden sind.

Im vierten wissenschaftlichen Beitrag geht Hardy Landolt der Frage nach, welche Entschädigungsansprüche pflegende Angehörige haben können. Der Anspruch gegenüber dem auf Pflege angewiesenen Angehörigen selbst kann sich aus Vertrag oder aus dem Gesetz ergeben. Die vertragliche Grundlage kann entweder ein Auftrag oder ein Arbeitsvertrag sein, wobei sich die konkrete Ausgestaltung insbesondere auf die sozialversicherungsrechtliche Beitragspflicht auswirkt. Direkt aus dem Gesetz kann sich ein Entschädigungsanspruch ergeben, wenn die Voraussetzungen einer Geschäftsführung ohne Auftrag oder ein faktisches Arbeitsverhältnis vorliegt. Haftet eine Drittperson für die Folgen des Gesundheitsschadens, erstreckt sich der Ersatzanspruch sowohl auf die tatsächlichen als auch auf die eingesparten Pflegekosten bei unentgeltlicher Pflege durch Angehörige. Schliesslich wird erörtert, inwiefern die Krankenpflegeversicherung und die Kantone im Rahmen eines Bezugs von Ergänzungsleistungen Pflegeleistungen vergüten, die durch eine angehörige Person erbracht werden.

Auch der erste Forumsbeitrag dreht sich um die Angehörigenpflege. Manuela Wiederkehr schildert ihre Erfahrungen als pflegende Angehörige. Peter Burkhalter beschreibt die Herausforderungen, die sich für freiberufliche Pflegefachpersonen aus datenschutzrechtlicher Sicht stellen, und stellt die Lösungen vor, die der Fachverband für selbständige Pflegefachpersonen zur Verfügung stellt. Simone Eicher stellt in ihrem Beitrag das Projekt HEROES vor, das den Rekrutierungsprozess von Pflegefachkräften revolutionieren soll. Auf einer Plattform werden einerseits Auftraggeber und Kandidaten zusammengeführt, und andererseits erfolgt eine Bewertung der Kandidaten durch Personen mit entsprechender Erfahrung.

Von den im Rahmen der Rubrik Gesetzgebung behandelten parlamentarischen Vorstössen sei an dieser Stelle auf eine Interpellation und die Stellungnahme des Bundesrates verwiesen, die die Löhne im Gesundheitssystem zum Gegenstand hat. Wie gewohnt finden sich ausserdem Hinweise zu relevanten Vernehmlassungen, Änderungen von Kreis- und Rundschreiben sowie themenbezogenen Publikationen.

Die in der Rubrik Rechtsprechung behandelten Entscheide haben die Rechtmässigkeit der Zustimmung zur Durchführung einer COVID-19-Impfung bei einer dementen Pflegeheimbewohnerin und – ganz im Sinne des Themenschwerpunkts – die Benachteiligung von freiberuflichen Pflegefachpersonen bei der Höhe der Restkosten zum Gegenstand.

Schliesslich äussert sich Esther Gerber als Interviewpartnerin zu den Herausforderungen und den Rahmenbedingungen freiberuflicher Pflege.

Wir wünschen Ihnen, liebe Leserin und lieber Leser, eine unterhaltsame und anregende Lektüre.

Ihre

Prof. Dr. iur. Hardy Landolt und lic. iur. Andreas Petrik