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Aus der ZeitschriftPflegerecht 2/2022 | S. 57–58Es folgt Seite №57

Editorial

Gesetzgebung sei anspruchsvoll – dieses Faktum betont Ueli Kieser in seinem wissenschaftlichen Beitrag zu den neuesten Entwicklungen im Krankenversicherungsbereich, der sich in unentwegter Bewegung befindet, wie der Autor jedenfalls hervorhebt. Diese Feststellung verdeutlicht die Bedeutung der Gesetzgebung – nicht nur, aber auch im Pflegebereich. Bislang wurde die Rubrik «Gesetzgebung» von der Mitherausgeberin Brigitte Blum-Schneider betreut. Leider hat die geschätzte Mitherausgeberin ihren Austritt aus der Redaktion bekannt gegeben, was nicht nur der Verfasser dieses Editorials, sondern alle anderen Mitglieder der Redaktion überaus bedauern. Ich wünsche dir, liebe Brigitte, alles Gute und viel Kraft für die neuen Herausforderungen und bedanke mich – auch als Leser – für die während nunmehr neun Jahren erfolgte Betreuung der Rubrik «Gesetzgebung». Auch wenn du manchmal gemeint hast, die fragliche Rubrik friste ein Mauerblümchendasein, ist dem natürlich nicht so. Der Gesetzgeber denkt an vieles, (leider) nicht an alles, wie Ueli Kieser ebenfalls darstellt. Umso bedeutungsvoller und wichtiger ist es, dass sich eine spezifische Rubrik mit dem dynamischen Gesetzgebungsprozess befasst.

Das vorliegende Heft enthält für einmal fünf wissenschaftliche Beiträge, die einen weiten Bogen spannen. Der bereits erwähnte Beitrag von Ueli Kieser schildert die neuesten Gesetzgebungsrevisionen im Krankenversicherungsbereich. Der Gesetzgeber hat unlängst die Stärkung von Qualität und Wirtschaftlichkeit im KVG-Bereich betont und zudem mit Wirkung ab dem 1. Januar 2022 neue Regelungen erlassen, die besondere Voraussetzungen für die sozialversicherungsrechtliche Zulassung von Leistungserbringern vorsehen. Zudem weist der Beitrag auf die noch nicht in Kraft getretene Revision hinsichtlich der Einführung von Fallpauschalen im ambulanten Bereich hin, die das Parlament am 18. Juli 2021 beschlossen hat. Der Autor bedauert, dass es an einer Gesamtsicht der einzelnen Revisionen fehlt und insbesondere keine Klarheit hinsichtlich der Grundprinzipien besteht, die der Gesetzgeber verfolgt.

Für die ambulante Psychiatriepflege gelten seit 2007 besondere Bestimmungen, welche die Rechtsprechung im Verlauf der vergangenen Jahre konkretisiert hat. Hardy Landolt befasst sich in seinem Beitrag mit der Entwicklung der Rechtsprechung im Bereich der Psychiatriepflege und analysiert, welche Besonderheiten für die Bedarfsfeststellung, die ärztliche Anordnung und die Durchführung der psychiatrischen Pflegeleistungen gelten. Er kritisiert, dass die Rechtsprechung zunehmend ein duales System entwickelt hat und unterschiedliche Anforderungen für die somatische und die psychiatrische Pflegedienstleistungserbringung durch die Gerichte formuliert werden, obwohl die Pflegeausbildung einheitlich ist.

Die Finanzierung der Betreuungs- und Pflegeleistungen ist komplex geregelt und stellt für sich genommen bereits eine grosse Herausforderung für die versicherten Personen und die Leistungserbringer dar. Die Komplexität erhöht sich dadurch, dass im Zusammenhang mit dem Nachweis der Kostentransparenz im Rechnungswesen zusätzliche Anforderungen gestellt werden. Patricia Ruprecht gewährt einen konzisen Überblick über die Finanzierungsgrundsätze der verschiedenen Versorgungsformen und die von den jeweiligen Leistungserbringern bzw. Rechnungsverantwortlichen einzuhaltenden Vorgaben hinsichtlich des Kontenrahmens sowie der einschlägigen Aktivierungs- und Bewertungsrichtlinien.

Florian Rutz und Sandra Staudacher greifen in ihrem Beitrag die Problematik auf, wie die Richtlinien im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie in einem Alters- und Pflegeheim umgesetzt worden sind. Sie betonen die Komplexität des Zusammenspiels zwischen dem Schutz der Heimbewohner vor gesundheitlichen Beeinträchtigungen und der Verpflichtung, die Persönlichkeitsrechte der Heimbewohner massvoll einzuschränken. Gleichzeitig weisen sie auf das zusätzliche Spannungsfeld hin, das sich aus der Integration von medizinischen, ethischen und rechtlichen Aspekten ergibt. Die Autoren fordern, dass der Stimme der Heimbewohner mehr Gewicht beigemessen und eine personenzentrierte Versorgung favorisiert werden sollte.

Aus der ZeitschriftPflegerecht 2/2022 | S. 57–58 Es folgt Seite № 58Peter Breitschmid nimmt den Entscheid 5A_993/2020 zum Anlass für seinen Beitrag zur Frage, unter welchen Voraussetzungen ein Vermächtnis an eine pflegende Person gewährt werden kann. Der Autor betont, dass gegen Erbschleicher und Trinkgeldhascher (auch weiblichen Geschlechts) konsequent vorzugehen ist. Er ist der Auffassung, dass die Erblasserin im konkreten Fall willensmangelfrei begünstigt hat und deshalb die gerichtlicherseits angenommene Erbunwürdigkeit fraglich ist. Der Autor betont zwar, dass unentgeltliche Zuwendungen im beistandschaftlichen Kontext, wie im vorliegenden Fall, heikel sind und die begünstigte Person wiederholt von pflegebedürftigen Personen begünstigt worden ist, was dem konkreten Fall zusätzlich eine besondere Note verleiht. Es bleibe, so der Referent, trotz diesen Besonderheiten ein schaler Beigeschmack, da der gerichtliche Eingriff in die Testamentsautonomie letztlich die Personen begünstige, welche die Verstorbene willensmängelfrei nicht habe begünstigen wollen.

Der Pulverdampf des Abstimmungskampfes ist verzogen – die vom Volk angenommene Pflegeinitiative ist nunmehr umzusetzen. Das von Helena Zaugg betreute Forum nimmt sich der Umsetzungsproblematik an und beleuchtet nicht nur den Inhalt der verfassungsrechtlichen Stärkung der Pflege (Phil Baumann), sondern auch die irreführenden und sachwidrigen Erläuterungen des Bundesrates im Zusammenhang mit der Pflegeinitiative (Andreas Kley) sowie die Auswirkungen auf die Arbeitsbedingungen in der Pflege (Pierre André Wagner und Andreas Petrik). Martin Hošek betont schliesslich in seinem Forumsbeitrag, dass die Annahme der Pflegeinitiative nicht nur zu einer Stärkung der Pflegeausbildung, sondern auch zur Einführung verbindlicher Personalquoten Anlass gibt.

Wie bereits erwähnt gewährt Brigitte Blum-Schneider im vorliegenden Heft letztmals ihren Einblick in die aktuellen parlamentarischen Vorstösse und die Änderungen in der Gesetzgebung und Verwaltungspraxis, die das Pflegerecht betreffen. Inskünftig wird die Rubrik «Gesetzgebung» von Dominique Vogt betreut. Die Redaktion freut sich auf die Zusammenarbeit mit der neuen Rubrikverantwortlichen. Thuy Xuan Truong und Benedict von Allmen runden mit ihren Urteilsbesprechungen die beiden Rubriken ab. Die Autoren analysieren drei sozialversicherungsrechtliche Urteile, welche die Stellung des Krankenversicherers bei der Entgegennahme von den Ergänzungsleistungen, den Assistenzbeitrag für minderjährige Versicherte und die Vergütung von Krankheits- und Behinderungskosten im Rahmen der Ergänzungsleistungen betreffen.

Einblicke in den Berufsalltag einer Pflegefachfrau, die seit 17 Jahren den Bereich Spital/Pflege bei einem Krankenversicherer leitet und sich mit Kostengutsprachen und der Rechnungskontrolle befasst, gewährt das von Brigitte Blum-Schneider mit Doris Nievergelt Schieler geführte Interview. Die Interviewte versteht sich in der Rolle von Sherlock Holmes, der herauszufinden hat, ob die in Rechnung gestellten Pflegeleistungen korrekt, fehlerhaft oder Folge einer bewussten Ausnutzung sind. Die Dreistigkeit gewisser Leistungserbringer löst bei Doris Nievergelt Schieler auch nach mehrjähriger Tätigkeit noch immer Erstaunen aus. Inskünftig wird der Gesetzgeber zu entscheiden haben, ob er den Datenschutz oder die Kontrolle der Rechtmässigkeit stärkt. Die Interviewte warnt vor einer Überregulierung und empfiehlt eine Vereinfachung der Finanzierung. Auch wenn Doris Nievergelt Schieler mit den schwarzen Schafen der Branche zu tun hat, wünschte sie sich gleichwohl, so lange wie möglich in den eigenen vier Wänden gepflegt zu werden, wenn eine Pflegebedürftigkeit für sie Realität werden sollte.

Es bleibt mir, Ihnen, liebe Leserinnen und Leser, eine anregende Lektüre zu wünschen, verbunden mit der Hoffnung, dass die bewegten Zeiten bald wieder friedvoller werden. Bleiben Sie gesund und lebensfroh!

Ihr

Prof. Dr. iur. Hardy Landolt LL.M.