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Aus der ZeitschriftPflegerecht 2/2023 | S. 117–118Es folgt Seite №117

Interview mit…

Dominice Häni Dipl. Pflegefachfrau HF, CAS Forensic Nursing UZH, Forensische Medizin und Bildgebung, Universität Zürich, Institut für Rechtsmedizin

Liebe Frau Häni, Sie bewegen sich beruflich auf dem Feld des Forensic Nursing, hierbei haben Sie an verschiedenen Schnittstellen Kontakt zu Juristen und Juristinnen.

Wie gelingt Ihnen die berufsübergreifende Kommunikation, und welche Herausforderungen mussten Sie dabei bewältigen, und welches sind die wichtigsten Erfahrungen dabei aus Ihrer Sicht?

Forensic Nursing ist recht neu in der Schweiz, daher ist der Austausch mit Jurist:innen für beide Parteien anfänglich eher ungewohnt und neu. Ich würde jedoch behaupten, dass beide Berufsgattungen sich gewohnt sind, mit unterschiedlichsten Adressaten zu kommunizieren. Mit dem Umgang von heiklen Themen sind wir durchaus ebenfalls beide vertraut. Daher unterscheiden wir uns gar nicht so sehr. Trotzdem ist die Kommunikation anders. Vom ganzheitlichen Bild ausgehend, mit der Reduktion auf ein paar wichtige Punkte, die man angehen will in der Pflege mit dem Patienten, muss auch der Jurist sich auf die relevanten Fakten beschränken, um zur Klärung eines Falles beizutragen. In der Pflege hat es jedoch einen grösseren Spielraum für Intuition und offenere Denkansätze, während die Juristen – vollkommen zu Recht – sich auf Fakten und Gesetze stützen müssen. Obwohl dies nach keinem grossen Unterschied klingt, war dies anfänglich für mich ein klares Umdenken, wenn es darum geht, juristische Fragestellungen zu klären. Es braucht in der Justiz eine ganz klare Kommunikation, um Missverständnissen oder gar weiteren Anschuldigungen entgegenzuwirken. Der Unterschied von der klinischen Pflege im Umgang mit dem Patienten, wo es darum geht, seine Ressourcen zu fördern und seine Gesundheit zu stärken, zum juristischen Umgang mit allen Beteiligten eines Ereignisses als Forensic Nurse ist schon gross.

Hat Sie die Beschäftigung mit dem Recht persönlich auch weitergebracht?

Ich habe ursprünglich mal eine kaufmännische Ausbildung in öffentlichem Recht absolviert und bin daher gut mit dem Obligationen-, dem Versicherungs- und dem Strassenverkehrsrecht vertraut. Nun als Forensic Nurse komme ich hauptsächlich mit dem Strafgesetz in Kontakt – für mich durchaus das interessanteste Recht. Obwohl ich fasziniert bin, wie alles geregelt ist und wie eigentlich fast alles rechtlich festgehalten ist. In der kaufmännischen Ausbildung habe ich gelernt, dass wir jeden Tag Gesetze anwenden, nur schon, wenn wir am Morgen einen Kaffee am Kiosk kaufen, haben wir einen Vertrag abgeschlossen. Die Thematik finde ich sehr spannend, und da es jeden Einzelnen persönlich betrifft und jeder Einzelne mit dem Gesetz in Kontakt kommen kann, finde ich es gut, wenn man sich mal damit auseinandersetzt. Nicht zuletzt werden auch gewisse Abstimmungen über Gesetze getätigt, und darüber sollten wir uns als Stimmvolk, finde ich, schon informieren.

Welche Ausstrahlung hat das Recht auf die «tatsächliche» Praxis in der forensischen Pflege (Vielleicht gibt es hier ein schönes Beispiel …)?

Ich finde, das Recht ist in der forensischen Pflege wie aber auch in der klinischen Pflege omnipräsent. Wir haben es mit Menschen in schwierigen oder sehr aufwühlenden Situationen zu tun. Diese Menschen haben Rechte, trotzdem brauchen wir von Rechts wegen Informationen von ihnen. Gerade im Umgang mit potenziellen Tätern oder Betroffenen ist klar festgelegt, wie was abzulaufen hat. Worüber wir die zu Untersuchenden informieren müssen, worauf wir verzichten können und wo die zu Untersuchenden sich auch verweigern dürfen. Das wirkt so selbstverständlich, weil es im Alltag fast nebenbei umgesetzt wird. In vielen Ländern ist genau diese Thematik aber nicht so klar definiert wie bei uns in der Schweiz. Darum ist für mich das vorherrschende Recht in meinem alltäglichen Beruf als Forensic Nurse neben dem Strafrecht immer noch vor allem das Menschenrecht.

Sie befassen sich in Ihrer Arbeit mit einem weiten Spektrum zu Fragen aus dem Bereich der (forensischen) Pflege und verfügen über einen grossen Erfahrungsschatz in der Gynäkologie? Was fasziniert Aus der ZeitschriftPflegerecht 2/2023 | S. 117–118 Es folgt Seite № 118Sie an diesen Bereichen, und wie kam es dazu, dass Sie sich diesen zugewandt haben?

In die Gynäkologie bin ich mehr oder weniger reingerutscht. Die Gynäkologie ist ein eher kleines Fachgebiet und bietet sich gut an, wenn man nicht Vollzeit arbeiten kann oder will. Natürlich bietet die Gynäkologie oder die Frauenheilkunde, wie es früher genannt wurde, ein grosses Spektrum bezüglich ganzheitlicher Pflege. Nicht zuletzt deswegen arbeiten viele verschiedene Disziplinen auf der Gynäkologie und Geburtshilfe, und ich wage zu behaupten, dass die gynäkologische Klinik meist eine der wenigen ist, die eigene Psychologinnen im Team hat. Frauen (selten auch Männer) werden oft ein Leben lang vom gynäkologischen Team begleitet – was dem Team auch ermöglicht, in viele verschiedene Lebensgeschichten reinzusehen. Leider gibt es auch unschöne Geschichten – häusliche und/oder sexualisierte Gewalt gab es schon immer. Gut ist, dass nun langsam auch vermehrt darüber geredet wird. In dieser Thematik mehr zu verändern, hat mich zur Forensic Nurse gemacht. Dabei geht es mir nicht nur darum, mehr für die Betroffenen in der Betreuung zu tun, es geht mir generell darum, dass die Thematik enttabuisiert wird und mehr darüber gesprochen wird. In der Grundausbildung habe ich vom Konzept der Salutogenese von Aaron Antonovsky gehört. Dieses Konzept fasziniert mich noch heute und bildet für mich das Fundament meiner Ansichten in der Pflege von Menschen. Antonovsky beschreibt, dass niemand «nur krank» oder «nur gesund» ist und dass wir uns ein Leben lang auf einem Pendel zwischen «krank» und «gesund» befinden. Gesundheit ist also kein passiver Gleichgewichtszustand, sondern ein aktives Geschehen. Er befasste sich nicht mit der Frage «Warum wird ein Mensch krank?», sondern mit der Fragestellung «Was hält ihn gesund?». Wenn man dieses Konzept unter dem Aspekt einer erlebten Traumatisierung durch Gewalt anschaut, spielen die Psyche, das soziale Umfeld und die Umwelt eine sehr tragende Rolle. Treffen betroffene Menschen auf forensisch ausgebildetes Personal, bin ich mir sicher, dass sie gestärkt werden und besser betreut sind. Forensische Pflege gehört für mich ganz klar zur ganzheitlichen Pflege dazu.

Der Bereich der Pflege ist aus juristischer Sicht im Umbruch befindlich. Welche erfreulichen Entwicklungen zeichnen sich für Sie hierbei ab und welchen stehen Sie eher kritisch gegenüber?

Schwierig zu beantworten. Ich finde es toll, dass der Pflege mehr Gewicht gegeben wird. Dass es Spezialisierungen gibt wie eine «Forensic Nurse», wo Pflegende mehr Verantwortung erhalten und ihnen mehr zugetraut wird. Dass dieser Umbruch aber hauptsächlich auch aufgrund von akutem Personalmangel bei Ärzten und Pflegenden entsteht, finde ich jedoch bedenkenswert. In den letzten Jahren in der Pflege habe ich keinen Umbruch bemerkt, was die Dramatik der Situationen in den Krankenhäusern betrifft. Es wird meiner Meinung nach viel zu wenig kommuniziert, wie schlimm die Situation in den Spitälern und auch in der Langzeitpflege ist. Wenn man in unser Nachbarland Deutschland schaut, stimmt das schon sehr nachdenklich. Bald gibt es dort kaum noch Unfallchirurgen – jeder Mensch kann in eine Situation kommen, wo er auf akute Hilfe angewiesen ist. Es wird ein Umdenken stattfinden müssen, darüber, was uns das Leben wert ist. Der Tod gehört zum Leben dazu, und ich bin mir sicher, dass in Zukunft mehr Menschen sterben werden, weil sie keine akute Hilfe mehr bekommen können, weil es überall an Fachpersonal fehlt. Es werden auch in Zukunft Gesetze geändert werden müssen, und es wird so kommen, dass der Pflege mehr Verantwortung übergeben wird. Das freut mich einerseits sehr für meine Berufsgruppe, der Hintergrund für diese Massnahmen ist jedoch grösstenteils ernüchternd.

Sollten Sie dereinst einmal selbst auf Pflege angewiesen sein, wie würden Sie sich eine adäquate Pflege für sich vorstellen?

Ich wage gar nicht, von einer adäquaten Pflege zu reden. Ich glaube, wenn ich es bis ins Alter schaffen werde, bin ich überhaupt noch froh, wenn irgendwer da ist, der noch pflegt. Fachlich gut ausgebildet wäre wünschenswert, aber da ich weiss, wie die Realität aussieht, lasse ich es auf mich zukommen.

Das Interview führte

im Namen der Redaktion der Zeitschrift «Pflegerecht».