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Aus der ZeitschriftPflegerecht 3/2021 | S. 199–200Es folgt Seite №199

Interview mit...

Petra Metzenthin Dr. phil.

Heute ist Dr. phil. Petra Metzenthin während 17 Jahren in der Schweiz tätig. Zu Beginn ihrer beruflichen Karriere lernte sie in einer kleineren Stadt in Ostdeutschland den Pflegefachberuf kennen. In der Zeit zwischen ihrer Ausbildung und ihrem Wirken heute hat sich in der Pflege einiges verändert. Wie hat sie, die aus der DDR via BRD in die Schweiz gekommen ist, diesen Wechsel erlebt, und wohin muss sich die Pflege heute weiterentwickeln? Fragen wir sie am besten gleich selbst.

Du blickst auf ein Berufsleben von rund 30 Jahren zurück. Welches waren deine Meilensteine in dieser Zeit?

Die Pflegeausbildung mit Start in der ehemaligen DDR und dazwischen der Mauerfall und zu sehen, was sich plötzlich alles ändert, auch in der Pflege. Das war sicher sehr prägend.

Ich startete 1988 mit 16 Jahren meine Pflegeausbildung. Die ging damals vier Jahre. Das Gesundheitssystem in der DDR war zwar grundsätzlich gut, aber die Ausstattung der Spitäler eher mangelhaft. Die Pflege musste damals neben den Pflegetätigkeiten alles putzen, sterilisieren, Tupfer drehen, Verbandsmaterial herstellen. Zum Beispiel wurden Handschuhe wiederverwendet, und die Spritzen waren noch aus Glas. Einwegmaterial gab es so gut wie gar nicht.

Quasi in der Mitte der Ausbildung fanden dann der Mauerfall, die Wiedervereinigung und die Währungsreform statt. Ich war also plötzlich in einer anderen Welt. In den Spitälern wurden Putzdienste eingeführt, und Einmalmaterial überflutete unseren Alltag. Der Pflegealltag veränderte sich dadurch enorm. Aufgrund des Mauerfalls eröffneten sich mir völlig neue Perspektiven auch bildungstechnisch. So ging ich unmittelbar nach meinem Ausbildungsabschluss ans Gymnasium und setzte mich als 21-jährige zwei Jahre zwischen die 16-Jährigen, um mein Abitur nachzumachen. Das war damals eine Ausnahmemöglichkeit und einen harte, aber lohnende Zeit. Mit der Matura in der Hand ging ich erstmal wieder zurück in die Pflegepraxis. Ich arbeitete auf einer Intensivstation, um die Wartezeit für die Zulassung zum Psychologiestudium zu erreichen. In Deutschland ist Psychologie ein Numerus-Clausus-Fach und der Zugang nicht so einfach. Nach zwei Jahren erhielt ich dann den Zugang zum Studium.

Beginnen wir in den Anfängen. Du hast einmal gesagt, dass dich die Öffnung der DDR nicht wesentlich beeindruckt hat. Wie kam das?

Ja, ich war damals in der Ausbildung und hatte Spätdienst. Der Mauerfall kam sehr plötzlich, und auf der Abteilung im Spital fehlte von einem Tag auf den anderen die Hälfte der Belegschaft. Viele sind erstmal in den Westen gefahren. Das hat mich damals geärgert, da ich als Auszubildende somit allein mit einer examinierten Pflegefachperson auf einer Station arbeiten musste. Nach dem Dienst sass ich aber auch vor dem Fernseher und beobachtete das Spektakel. Auch meine Eltern waren ganz begeistert vom Mauerfall und fuhren gleich in den Westen. Mir war das anfänglich alles etwas suspekt und auch peinlich, wie alle mit ihren Trabbis in den Westen fuhren. Das legte sich dann aber schnell und einen Monat fuhr ich nach Berlin und ging in den Westen, um mir die fremde Welt anzuschauen. Das war eindrucksvoll.

Was hat dich bewogen, die DDR zu verlassen, als diese bereits nicht mehr existierte?

Das hatte wenig mit der Ex-DDR zu tun. Es war eher der Drang zur Weiterentwicklung, der Wunsch, anderes zu sehen und raus in die «grosse, weite Welt» zu gehen. Vielleicht habe ich darin auch Chancen gesehen und wollte sie nutzen.

Du hast also einen anderen Beruf erlernt und wolltest damit deinem Berufsleben eine andere Richtung geben, ist das richtig?

Ich habe nach der Pflege Psychologie studiert. Ich hatte schon früh in der Pflegeausbildung realisiert, dass ich studieren möchte. Nach der Wende eröffneten sich völlig neue Perspektiven, was die Bedeutung von Berufsabschlüssen anging. So folgte ich meinem Wunsch und holte zuerst meine Matura nach, um Zugang zum Studium zu erhalten.

Warum hast du dich für die Schweiz entschieden?

Nach zwei Jahren Tätigkeit in einer Unternehmensberatung suchte ich eine neue berufliche Herausforderung. Zufällig sah ich eine Stellenanzeige der ETH Zürich für ein Doktorat. Da ich in Zürich entfernte Verwandte habe und die Stadt schon kannte, dachte ich, ich bewerbe mich mal. Da ich neben dem Studium Erfahrungen als ausgebildete Pflegefachfrau mitbrachte, erhielt ich die Stelle als wissenschaftliche Mitarbeiterin im Institut für Verhaltenswissenschaften. Schwerpunkt des Institutes lag in der Stressforschung, und ich hatte die Möglichkeit, im Rahmen meiner Dissertation die Stressbelastung bei Pflegefachpersonen zu untersuchen.

Nach deiner Dissertation suchtest du eine Anstellung im Kontext Pflege. Du gelangtest an die Berner Fachhochschule im Fachbereich Gesundheit.

Die Auseinandersetzung mit den Pflegefachpersonen und deren Arbeitsbedingungen während meiner Zeit Aus der ZeitschriftPflegerecht 3/2021 | S. 199–200 Es folgt Seite № 200an der ETH hatten mich wieder näher an die pflegerische Praxis gebracht, und ich realisierte, dass die Pflege für mich irgendwie Heimat bedeutet. Als ich mit meiner Dissertation fertig war, starteten erstmalig die Bachelorstudiengänge in der Pflege an den Fachhochschulen. Ich bewarb mich daher als Dozentin und bekam eine Stelle in Bern. Hier konnte ich meine Kompetenzen in die Ausbildung von Pflegefachpersonen gut einbringen. Ich war eng in die Curriculumentwicklung involviert und konnte hier Pflege und Psychologie miteinander verbinden. Das war eine spannende Zeit, die Anfänge der Akademisierung der Pflege mitzugestalten.

Du hast nach elf Jahren die Berner Fachhochschule verlassen, die Praxis zog dich an. In der Psychiatrie hast du deine Kenntnisse als Leiterin Berufsbildung vertieft. Wie war bei diesem Wechsel der Unterschied zwischen der Theorie und der Praxis?

Anfangs kam ich recht auf die Welt. Ich hatte jahrelang Bachelor- und Masterstudierende auf die Praxis vorbereitet und musste dann erkennen, dass die Praxis zum Teil mit ganz anderen Problemen konfrontiert ist und sich das Wissen nicht so leicht transferieren lässt. Ich war zwar während meiner Tätigkeit an der BFH immer mal wieder in der Praxis, aber die Zeit war zu kurz, um sich ein vertieftes Bild zu machen. Das gelang mir in der Rolle als Leiterin Bildung besser. Ich habe realisiert, dass die Studierenden viel mehr Handwerkszeug in Praxisentwicklung, Kommunikation, Verhandlungstechniken usw. benötigen, um ihr Wissen zielgerichtet einbringen und anwenden zu können. Diese Erfahrung ist für mich in meiner jetzigen Tätigkeit sehr hilfreich.

Nun bist du im Bildungszentrum Gesundheit Basel-Stadt, kurz BZG, beschäftigt, einer Höheren Fachschule. Wie unterscheidet sich die Höhere Fachschule von der Fachhochschule, wenn du auf die Theorie des Lehrens und Lernens aufbaust?

Die Höhere Fachschule ist auf der Tertiärstufe verankert, zielt aber auf eine andere Gruppe Studierende ab als die Fachhochschule. Die Inhalte sind grundsätzlich ähnlich, auch die Einsatzbereiche nach dem Ausbildungsabschluss. In der FH werden jedoch einzelne Themen vertiefter unterrichtet, wie Forschung und Statistik sowie klinisches Assessment. Meines Erachtens müssen sich die Studierenden an der FH mehr Wissen selbst erarbeiten. An der HF ist die Vermittlung der Lerninhalte vielleicht etwas «gesteuerter». Die Studierendengruppe ist sehr heterogen. In der FH dagegen scheint mir die Zusammensetzung etwas homogener, da alle eine Berufsmaturität, gymnasiale Maturität, eine Fachmaturität oder HF Abschluss mitbringen.

Nach der FH und der Praxis ist es schön, nun die HF vertiefter kennenzulernen. Ich finde es ist sehr bereichernd, die ganze Bandbreite der Pflegeausbildungen zu kennen, und es macht mir Spass, nach 16 Jahren immer noch mitwirken zu können. In der Pflegeausbildung ist in den letzten Jahren so viel passiert, und es wird sich noch einiges weiterentwickeln. Es wird also nie langweilig.

Du hast in deiner Laufbahn viele verschiedene Facetten des Pflegefachberufes kennengelernt, daher meine Frage zum Schluss: Wo wird der Pflegefachberuf in zehn Jahren stehen?

Das ist eine gute Frage, und ich zerbreche mir darüber ab und zu den Kopf, insbesondere im Zusammenhang mit der Curriculumentwicklung. Ich befürchte, der Personalmangel wird viel übersteuern, uns zu überhasteten Entscheidungen verleiten und in manche Zwänge bringen. So muss die Ausbildungsquote erfüllt werden, was vielleicht zu viele Leute in die Ausbildung spült, die den Anforderungen nicht gewachsen sind und dann noch schneller wieder aussteigen oder den Abschluss erst gar nicht erreichen. Das ist wenig nachhaltig.

In zehn Jahren werden sich die medizinischen Entwicklungen noch weiter differenziert haben und damit das nötige Fachwissen und die pflegerischen Kompetenzen noch diverser werden. Folgt man den Megatrends, wie sie zum Beispiel vom Zukunftsinstitut (vgl. www.zukunftsinstitut.de) postuliert werden, wird sich in den nächsten Jahren einiges bewegen. Digitalisierung ist da nur ein Thema. Digitale Technologien werden in der Gesundheitsversorgung wie auch beim individuellen Gesundheitsverhalten eine immer grössere Rolle spielen. Daneben wird der Blick auf die Gesundheit ganzheitlicher. Das bezieht sich nicht nur auf das Individuum, sondern bezieht auch den Kontext mit ein. Zukünftig werden auch Faktoren wie Bildung, Gesetzgebung, Architektur oder Arbeitsumgebungen in den Fokus rücken.

All diese Entwicklungen werden neue Anforderungen und Angebote generieren. Damit wird sich auch die Versorgung der Patient*innen verändern. Der Bedarf im ambulanten Bereich wird weiter zunehmen. Neue Versorgungsformen, in denen sich die Pflege agiler bewegen darf, werden wahrscheinlich vorherrschen. Pflege wird in zehn Jahren weiterhin sehr anspruchsvoll sein. Neben fundiertem theoretischem Fachwissen und einem hohen Mass an praktischen Skills benötigt es Methodenkompetenz. Dies, um das eigene Wissen auf dem aktuellen Stand zu halten, aber auch, um mit den Technologien und Angeboten umgehen zu können. Pflegefachpersonen werden immer mehr zur Beratenden und Orientierenden. Sie unterstützen Patient*innen dabei, sich mit den Informationen und Angeboten zurechtzufinden. Dafür verbinden sie ihre eigene Expertise und Erfahrungen, mit der der Patient*innen und gestalten die Entscheidungsfindung. Dafür benötigt es zahlreiche Kompetenzen, die wir heute noch nicht alle abdecken können.

Es wird also weiterhin spannend bleiben. Die Pflege muss agiler werden, die multiprofessionelle Zusammenarbeit wird immer bedeutsamer. Und sicher ist der wichtigste Punkt, wie wir die richtigen Personen in den Beruf bekommen und darin auch halten. Ich hoffe, die Pflegeinitiative kann hier einen Beitrag leisten.

Ich danke dir sehr herzlich für den Einblick in dein Leben und dein «offenes Ohr» für die Theorie und die Praxis!

Das Interview führte

im Namen der Redaktion

der Zeitschrift «Pflegerecht»