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Aus der ZeitschriftPflegerecht 3/2023 | S. 119–120Es folgt Seite №119

Editorial

Temporärarbeit und flexible Arbeitsmodelle in der Pflege – eine holistische Betrachtung der Kontroverse

Als verantwortliche Herausgeber dieser Ausgabe der Zeitschrift Pflegerecht sind wir stolz, den Leserinnen und Lesern thematisch abgestimmt verschiedene Beiträge zum hochaktuellen und kontrovers diskutierten Thema Temporärarbeit in der Pflege präsentieren zu dürfen. Dabei kommen Autoren und Autorinnen mit verschiedenen Perspektiven und Berührungspunkten zu der Thematik zu Wort.

Beginnend vor und verstärkt während und nach der Covid-19-Pandemie kritisierten Spitäler die Abwanderung von immer mehr fest angestellten Pflegefachpersonen in die Temporärarbeit. Ob dies den Fachkräftemangel verstärkt oder vielleicht sogar abmildert, weil diese Personen sonst aus dem Beruf ausgestiegen wären, konnte bislang nicht durch wissenschaftliche Studien geklärt werden. Objektive Zahlen der Krankenhausstatistik zum Umfang der Temporärarbeit in der Pflege fehlen bislang. Zwar besteht die Kategorie in der Personalstatistik des Bundesamtes für Statistik bereits, jedoch werden erst seit 2023 von Spitälern erste Zahlen gemeldet. Eine Umfrage der Swiss Nurse Leaders (CNO Report, 2022) unter Pflegedienstleitungen aus allen Bereichen (Spital, Spitex, Psychiatrie, Langzeitpflege, Reha) offenbart, dass Temporäreinsätze gegenüber der Zeit vor der Covid-19-Pandemie, also 2019, um 60% zugenommen haben in ihren Einrichtungen, vor allem bedingt durch die hohe Anzahl vakanter Stellen in der Pflege. Dieses Wachstum bestätigt auch das Interview mit der stellvertretenden Geschäftsführerin der grössten Temporäragentur für Pflegekräfte Petra Fischer am Ende dieser Ausgabe. Die Abschätzung des Umfangs der Temporärarbeit in der Schweiz wird dadurch erschwert, dass der Übergang zwischen Temporärarbeit und Festanstellung inzwischen fliessend ist und es viele verschiedene Arbeitsmodelle von externen Springerkräften bis hin zu internen Poolmodellen gibt. Eine Klassifikation bietet der vorliegende wissenschaftliche Artikel von Florian Liberatore, Sarah Schmelzer und Sina Berger und zeigt die damit verbundenen Managementherausforderungen auf. Eine vergleichende Darstellung der unterschiedlichen Motivlagen von Pflegekräften zum Arbeitgeberwechsel, zum Wechsel in die Temporärarbeit bzw. zum Berufsausstieg erfolgt im wissenschaftlichen Beitrag von Martin Büsser, Alexander Dullenkopf und Florian Liberatore, basierend auf Ergebnissen eines Survey unter Anästhesiepflegefachpersonen in der Schweiz.

Institutionenseitig werden mit Temporärarbeit sowohl positive als auch negative Auswirkungen verbunden. Zum einen ermöglicht die Beschäftigung von Temporärkräften Vakanzen, kurzfristige Ausfälle, zu kompensieren und so Bettenschliessungen zu verhindern. Zum anderen kann der Einsatz von Temporärkräften zu Konflikten im Team, niedriger Effizienz bis hin zu negativen Effekten auf die Qualität führen. Die Aus der ZeitschriftPflegerecht 3/2023 | S. 119–120 Es folgt Seite № 120zwei Forumsbeiträge (Maryam Ahmadi Shad und Co-Autor/innen) geben hierzu einen detaillierten Einblick.

Mit Kuno Betschart bezieht der Geschäftsführer der Regionalsektion Zürich/Glarus/Schaffhausen des SBK zu der Thematik Stellung. Er nimmt eine historische sowie rechtliche Einordnung aus Sicht eines Verbands vor, der sich für die Interessen der angestellten Pflegefachpersonen einsetzt. Im Beitrag zeigt er die schwierige Rolle des Verbands auf und wie man mit dem Thema Temporärarbeit in der Pflege umgehen soll. Er gibt eine kritische Einschätzung aus berufspolitischer Sicht und stellt die Forderung an die Temporäragenturen, sich als Arbeitgeber für Pflegekräfte auch den damit einhergehenden Pflichten zu stellen. Er schliesst seinen Beitrag mit der Forderung an die Arbeitgeber, im Gesundheitswesen dem starken Wachstum der Temporärarbeit entgegenzuwirken, indem sie die Arbeitsbedingungen der Pflegekräfte nachhaltig verbessern. Der zweite Forumsbeitrag bringt die pflegewissenschaftliche Perspektive zur Thematik ein. Maryam Ahmadi Shad und Co-Autor/innen vom Institut für Pflegewissenschaft der Universität Basel sowie vom Winterthurer Institut für Gesundheitsökonomie diskutieren auf Basis von Ergebnissen aus einem Survey unter Verantwortlichen des Pflegemanagements in Schweizer Spitälern die Herausforderungen, die Ausprägungen sowie die Einsatzhäufigkeit und die -gebiete von Temporärkräften in der Pflege.

Zudem bestehen rechtliche Unsicherheiten und Regulierungsbedarfe, da Pflegefachpersonen gleichzeitig verschiedene Arbeitgeber und Arbeitsmodelle haben können, bei denen eine übergreifende Kontrolle der Einhaltung von Rechtsvorschriften schwierig ist. Die rechtliche Einordnung digitaler Pflegepools ist das Thema des wissenschaftlichen Beitrags von Eylem Demir gleich zu Beginn dieser Ausgabe.

Ihre

PD Dr. rer. pol. Florian Liberatore und

lic. iur. Andreas Petrik